Kolumbien: „Die meisten Vertriebenen gab es unter der Regierung Uribe“

Donnerstag, 12. August 2010

(12.8.10) Aus einem Interview mit Jorge Rojas. Leiter der NGO Consultoría para Derechos Humanos y Desplazados (CODHES, Beratungsstelle für Menschenrechte und Vertriebene), veröffentlicht am 8. August 2010 in der spanischen Zeitung Público ("El Gobierno Uribe es el que más personas ha desplazado").

Isabel Coello

Jorge Rojas (Quelle: Público).

Was halten sie von der Politik der demokratischen Sicherheit?
Wir fragen uns, wo die demokratische Sicherheit für die in den Uribe-Jahren, offiziellen Angaben zufolge, 2.4 Mio. Vertriebene blieb. Wir haben Sicherheit, für die Grossgrundbesitzer, die Industriellen, Bankers und ausländischen Investoren. Aber die, die ihre Heime wegen der Aktionen der Guerilla, der Paramilitärs und auch der Ordnungskräfte haben verlassen müssen, können das nicht von sich sagen.

Ist das Problem der Vertreibungen unter Uribe schlimmer oder besser geworden?
Nach den Regierungsangaben von Acción Social gibt es in Kolumbien 3.4 Mio. Vertriebene, 2.4 Mio., davon unter Uribe. Nimmt man statt der offiziellen unsere Zahlen, also die von CODHES und der Kirche, hat es in den 25 Jahren von 1985-2009 unter sechs Regierungen 4.9 Mio. Vertriebene gegeben. Mehr als die Hälfte davon unter Uribe. Die meisten Vertriebenen gab es also unter der Regierung Uribe. Ob man nun die offiziellen oder unsere Zahlen nimmt.

Wo kommt es zu Vertreibungen?
Uns besorgt, dass die Wirtschaft von den Unternehmen in den Bereichen Minen und Energieressourcen angetrieben wird und dass die Landkarte der Vertreibungen mit diesen grossen makroökonomischen Projekten übereinstimmt. Unternehmen bereichern sich mitten in einem Konflikt. Ich sage nicht, dass die Unternehmen in die Vertreibungen oder die Gewalt verwickelt seien, aber sie müssen wissen, dass ihre Operationen in Konfliktgebieten in einem Medium der Gewalt, der Entwurzelungen und der Aggressionen gegen die Zivilbevölkerung laufen.

Dutzende von AnführerInnen des Kampfes für die Landrückgabe wurden ermordet. Was vermittelt dies?
Dass es eine Intention der neuen paramilitärischen Gruppen gibt, den Landraub abzusichern und ein an die Intensivproduktion von Palmöl und anderen Erzeugnissen für die Herstellung von Agrotreibstoffen gekoppeltes ländliches Entwicklungsmodell durchzusetzen. […]

Wie steht es mit der Übergabe von Brachland an die Bauern, zu der die Regierung von Gesetzes wegen verpflichtet ist? Wie viel ist übergeben worden?
Die Mafias lassen es nicht zu, dass arme Bauern gutes Land erhalten. Der Staat versucht es. Ein Beispiel: eine Gruppe von Bauern erhielt vom Präsident selber Landtitel. Einem von ihnen sagte er: „Gehen Sie und geniessen sie es!“. Der Mann wollte gehen und sie brachten ihn um, danach einen weiteren, danach räumten sie die ganze Siedlung. Die Regierung hat von den Mafias 2 Mio. Hektaren beschlagnahmt, doch nur zwischen 48'000 und 70'000 Hektaren an die Bauern verteilt. Lächerlich. Wir haben eine in den Institutionen eingenistete Mafia, die jede Landrückgabe oder –verteilung verhindert. Die neuen paramilitärischen Gruppen sind hier, um das zu verhindern.

Entstanden diese Gruppen nicht in Opposition zur Guerilla?

Die paramilitärische Erfahrung der 90er Jahre wird als grosse Strategie zur Guerillabekämpfung dargestellt. Aber es gab wenig Kämpfe zwischen Paramilitärs und Guerillas, aber viele Massaker an der Zivilbevölkerung. Was die Paras machten, ist das Modell der School of the Americas [US-Militärschule für Lateinamerika]. Dem Fisch das Wasser abgraben,  desartikulieren, Terror ausüben, Tausende von Zivilpersonen unter der Anschuldigung, soziale Basis der Guerilla zu sein, ermorden, massakrieren, verschwinden lassen. Das hat sich nicht geändert. Erfolgten diese Massaker in den 90er Jahren, um die Kontrolle über die politische Institutionalität zu erlangen (was sie geschafft haben), so wollen die neuen paramilitärischen Gruppen den Raub absichern und die Kontrolle über Güter und Land ausüben.