Vom LehrerInnenkampf zum Generalstreik?
In seinem Artikel „Los maestros siguen en pie de lucha“ vom 17. August geht Giorgio Trucchi, Korrespondent von Rel-Uita (Lateinamerikasektion der IUL, der internationalen Gewerkschaft der Lebensmittel-, Landwirtschafts- und HotelarbeitnehmerInnen), auf einige Hintergründe des riesigen Arbeitskonfliktes ein:
„Zwei Wochen der Arbeitsniederlegung, der permanenten Mobilisierung auf den Strassen der Hauptstadt und der friedlichen Besetzung des INPREMA (Renteninstitut der LehrerInnen) haben an der unnachgiebigen Haltung der Regierung nichts verändert. Laut Edgardo Casaña, Präsident der LehrerInnengewerkschaft COPRUMH, ist während des Putsches ein Gutteil der INPREMA-Fonds verschwunden. ‚Wir haben das Verschwinden der vom Lohn der Lehrerinnen und Lehrer abgezogenen Gelder denunziert. Auch die Regierungsbeiträge sind verschwunden. Während des Putsches haben sie diese Mittel eingezogen und umgeleitet, um beispielsweise die Repressionskräfte, den De-facto-Staatsapparat und die putschnahen Gruppen zu finanzieren’. Der Betrag ist beeindruckend. Mehr als 4 Mrd. Lempiras ($220 Mio.) haben sich während des Regimes von Roberto Micheletti und in den letzten Monaten in Luft aufgelöst.“Am Mittwoch, den 18. August, gab es landesweit gemeinsame Grossmobilisierungen der LehrerInnen und der Nationalen Volkswiderstandsfront FNPR. Als Antwort ist es zu brutalen Einsätzen der Repressionskräfte gekommen, vgl. dazu die Berichte von Dina Meza, Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation COFADEH, auf Defensores en Linea. Gezielt wurden dabei LehrerInnen, die zuvor von eingeschleusten Militärs als AktivistInnen identifiziert wurden, verhaftet, misshandelt und teilweise beinahe umgebracht.
„’Wir protestieren auch dagegen, dass der Kongress ein Erziehungsgesetz vorantreibt, das die Aufsicht des Staates über das Erziehungswesen eliminiert, indem es diese Funktion den Gemeinden überträgt. Dies ist absurd’, sagte der Gewerkschafter, ‚denn die Gemeinden erhalten nur 5 Prozent des Staatshaushaltes und haben keine Möglichkeit, die Verantwortung für das Erziehungssystem zu übernehmen’.“
Tegucigalpa, 18.8.10: Gefangene Lehrer. Quelle: Defensores en Línea. |
Am letzten Freitag, den 20. August 2010, gaben die drei Gewerkschaftsföderationen und der FNRP die Bildung eines gemeinsamen Komitees für die Organisierung eines Generalstreikes bekannt. Dies ist bemerkenswert. Während die CUTH als weitaus grösster Dachverband links positioniert ist und sich von Anfang in der Widerstandsfront engagiert hat, sind die anderen beiden Verbände, insbesondere die christdemokratische, bisher eher mit Passivität oder gleich mit Putschsympathien aufgefallen.
Planelemente
Dieser Kampf der LehrerInnen steht zusammen mit den Landauseinandersetzungen im Bajo Aguán und anderswo (s.u.) an der Spitze der gesellschaftlichen Konfrontationen. Daneben gibt es weitere wichtige Kämpfe wie etwa jene der Gewerkschaft Sitraunah, der ArbeiterInnen an der zentralen Universität von Honduras. AktivistInnen befinden sich seit über drei Monaten im Hungerstreik gegen Entlassungen von 124 KollegInnen und die Abschaffung des Gesamtarbeitsvertrages, welche von den pro-putschistischen Rektorin Julieta Castellanos betrieben werden. Die Frau ist Mitglied der „überparteilichen Wahrheitskommission“ von Putschwahlengewinner Pepe Lobo, welche die „guten Absichten“ seiner Regierung verdeutlichen und damit die internationale „Normalisierung“ legitimieren soll.
Gemeinsamer Hintergrund all dieser Kämpfe ist eine mit dem Putsch entfesselte Offensive von oben. Ein anfangs Juli 2010 in einer einzigen Nachtsitzung des Parlaments durch gewinkter „Plan de Nación“ sieht etwa die schrittweise Privatisierung aller dezentralisierter Wassersysteme im Land bis ins Jahr 2022 vor. Dieser „Plan für die Nation“ entspricht den Vorgaben der durch IWF und Weltbank repräsentierten internationalen „Gebergemeinschaft“. Ein Gesetzesvorschlag für Public Private Partnerships (PPP) dient nach Analyse des FNRP der Privatisierung des Service public. Gleichzeitig soll ein Dekret die Arbeitsgesetzgebung mit ihren Sozialleistungen und Mindeststandards aushebeln, indem Stundenarbeits- und Halbtagesverträge eingeführt werden sollen. (Auch in El Salvador betreiben Staatspräsident Mauricio Funes und sein rechtes Wirtschaftskabinett die Durchsetzung von PPPs im Rahmen weiterer, vom IWF angepeilter Privatisierungen. Ein von der Maquilaindustrie „vorgeschlagenes“ Arbeitsdekret ist am Widerstand der Arbeitsministerin Vicky de Avilés vom FMLN gescheitert. Es sah statt einer Arbeitswoche von 40 Stunden eine solche von 36 Stunden vor, verteilt auf nur noch 3 Tage! Das Ergebnis wäre gewesen: völlig kaputte ArbeiterInnen, Abschaffung von Sozialleistungen, Überstundenregelungen und anderem). Dies vor dem Hintergrund, dass laut offiziellen Angaben letztes Jahr 180'000, unter Lobo (seit Februar 2010) weitere 50'000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind.
Brutale Morde im Bajo Aguán
Am 18. August schrieb Giorgio Trucchi für Rel-Uita folgenden Artikel („Brutal asesinato a miembros del MUCA”)
„Trotz der zwischen dem Movimiento Unificado Campesino del Aguán (MUCA) und der Regierung unterzeichneten Abkommen reist die Gewaltserie im Bajo Aguán nicht ab. Die mit Afrikanischer Ölpalme bebauten Ländereien sind erneut mit bäuerlichem Blut getränkt worden. Gestern Dienstag, 17. August 2010, wurden drei Mitglieder des MUCA im Alter von 40, 18 und 14 Jahren brutal ermordet. Victor Manuel Mata, Sergio Magdiel Amaya und Rodving Omar Villegas von der Comunidad San Esteban waren mit dem Wagen unterwegs in die Comunidad Paso Aguán (Tocoa, Colón), als sie von Unbekannten mit schwerkalibrigen Waffen durchsiebt wurden.“
„’Zwei unserer Compañeros starben sofort’, wie Juan Chinchilla, Leitungsmitglied des MUCA und Mitglied im Exekutivkomitee der Nationalen Volkswiderstandsfront FNPR bewegt sagte, ‚der Dritte im Spital. Es hat sich um Mitglieder des MUCA gehandelt, ihre Grundstücke waren im Abkommen mit der Regierung inbegriffen. Im ganzen Bajo Aguán leben wir in einem angespannten Klima. In den Tagen vor diesem neuen Anschlag haben wir Bewegungen von Truppen und Polizeieinheiten festgestellt'.“
„Das MUCA berichtet von 10 ermordeten Mitgliedern als Folge der letztes Jahr von den Repressionskräften und dem Sicherheitspersonal des Grossgrundbesitzers und Ölpalmenproduzenten Miguel Facussé Barjum begonnenen brutalen Repression. ‚Dieser neue Akt der Gewalt gegen unsere Organisation zeigt den fehlenden Willen von Miguel Facussé, den Konflikt im Bajo Aguán zu lösen’, sagt Chinchilla. ‚Wir wollen das mit der Regierung unterzeichnete Abkommen umsetzen, aber die Bedingungen dafür werden von Tag zu Tag schlechter’.“
„Am Mai 2010 hatte das Nationale Agrarinstitut INA dem MUCA die ersten 3000 ha von den im Vertrag mit der Regierung vorgesehenen 11'000 ha Land übergeben. Mehr als 2500 Familien siedelten sich in sechs Fincas an. Mehrere Bauern wurden in den letzten Wochen verhaftet und mehr als 200 Anklagen gegen Mitglieder der Bauernorganisationen sind vor Gericht hängig. Am letzten 28. Juli wurde der Rechtsanwalt des Widerstandes und Verteidiger des MUCA im Department Colón, Mario Portillo, widerrechtlich verhaftet.“
Das Land denen, die es bebauen! |
Der Konflikt im Bajo Aguán, der etwa 600 km nordöstlich von Tegucigalpa gelegenen Region, steht im Zeichen der Konfrontation zweier gegensätzlicher Visionen oder Pläne. Facussé & Co. wollen fast ganz Honduras zur Anbauzone von Afrikanischen Ölpalmen machen (u.a. für die Agrospritgewinnung). Facussé, einer der entscheidenden Putschdrahtzieher, ist auch ein Businesspartner des WWF (s. Honduras/WWF: Komplizenschaften oder „Rettet die Pandabären“). Auf der anderen Seite haben in der gleichen Region die Kooperativen des MUCA, zuletzt mit Unterstützung der Regierung Zelaya, angefangen, ihren gesetzlichen Anspruch auf Land durchzusetzen und dabei eine Produktion zu entwickeln, die zumindest auch den Anbau von Grundnahrungsmitteln für hungrige Mäuler, nicht für leere Autotanks, beinhaltet (s. unsere Berichterstattung zum Bajo Aguán). Seit dem Putsch sind sie immer mehr im Visier der Repression. So berichteten verschiedene Nachrichtenagenturen am 19. Juli 2010, dass laut Polizeiangaben ungefähr 20 Bauern in ein Ölpalmengrundstück eingedrungen seien und auf das anwesende Sicherheitspersonal geschossen haben, welches in Notwehr drei der Campesinos erschiessen musste (bei angeblich drei verletzten Sicherheitswachen).
Facussé wütet nicht nur im Bajo Aguán. Ein anderer Kristallisationspunkt seiner Aggression ist Zacate Grande im westlichen Departement Choluteca am Golf von Fonseca. Hier liess der Agrarkapitalist, wie gestern berichtet wurde, eine Gruppe von Leuten auf Kooperativmitglieder los, deren Familien schon seit über hundert Jahren das Land bebauen, was Facussé aber nicht daran hindert, es als sein eigenes zu bezeichnen. Die Angreifer gingen mit Steinen und Werkzeugen auf ihre Opfer los, von denen drei schon hospitalisiert sind. Ihr Motiv: Facussé hat ihnen den Bau einer Schule für ihre Kinder versprochen und erreicht, dass zum ersten Mal in langjährigen Landkonflikt Blut geflossen ist.
Natürlich gibt es nicht nur Facussé. Am 27. Juli 2010 berichtete der Infodienst des Widerstandes, die Red Morazánica de Información, 300 bis 400 Mitglieder des Sicherheitsapparates der Standard Fruit Company (Teil des US-Multis Dole) sowie mehrere Scharfschützen hätten sich in der Zone von Las Isletas, nahe des Bajo Aguán im Atlantikdepartement Colón, aufgestellt, um ungefähr 200 Familien der bäuerischen Kooperativunternehmung EACI daran zu hindern, ihr widerrechtlich von der Standard Fruit angeeignetes Land zurückzuholen. In diesem Fall kam es noch nicht zu Toten – aktuell soll gerade eine Vermittlungskommission der Regierung eingesetzt werden. Wie „fragil“ aber die Landsituation insgesamt ist, zeigt eine kleine Passage in einem Communiqué der Widerstandsfront vom 13. August 2010. Bezugnehmend auf die brutalen Repressionsumstände vor einem Jahr in der Gegend der Städte Comayagua und Siguatepeque im Zentrum des Landes betont der Frente, dass sich an dieser Situation nichts geändert habe, „wie der Mord an der Bauernführerin María Teresa Flores nahe von Siguatepeque zeigt, der zwischen dem 7. und dem 11. August statt fand. Ihr Körper wurde fünf Tage nach ihrem Verschwinden mit Spuren von Folter und Schüssen gefunden“.
Sicherheitspersonal der Standard Fruit. Quelle: La Prensa, 6.7.10 |
Der Herr des Landes
Die Red Morazánica de Información zitierte am 15. August Berta Oliva, die Koordinatorin der Menschenrechtsorganisation Cofadeh, mit diesen Worten: „Wir können nicht sagen, dass die Menschenrechtsverletzungen zurückgehen. Es muss klar sein, dass in sechs Monaten des Regimes von Porfirio Lobo die Menschenrechtsverletzungen jene der sieben Monate des Militärputsches um 45 Prozent übertreffen“. Die Menschenrechtsverletzungen sind, so Berta Oliva, nicht nur „systematisch und selektiv“, sondern auch "lautlos".
Die gleiche Menschenrechtsverteidigerin erklärte letzten Freitag in Radio del Sur, einer Vernetzung von Radiosendern vor allem aus ALBA-Ländern, dass am Vortage in der Industriestadt San Pedro Sula mehr als hundert Leichen Unbekannter in einem Gemeinschaftsgrab beerdigt worden seien. Sie erklärt das als Ausdruck des Zusammenspiels von politischer Repression mit organisierter Kriminalität. (Während der Textbericht des Radio del Sur ungenau von einer „Entdeckung“ eines Massengrabes spricht, ergibt sich der reale Sachverhalt aus dem beigefügten Audioausschnitt aus dem Interview mit Berta Oliva.) Auch zu Facussé hat die Frau etwas zu sagen:
„Im Bajo Aguán gibt es nur einen Herrn, der sich dank politischer Vetternwirtschaft und wirtschaftlicher Macht auch die Hälfte des Landes angeeignet hat. Er klagt an, räumt und eignet sich an. Ihm dient eine Armee, die zahlenmässig grösser ist als die Polizei. Diese Leute sind bewaffnet haben die Lizenz zum Töten“.