Kommentierte Infosplitter zum Krieg in Libyen

Mittwoch, 30. März 2011


Aus Intervening in Libya, von Vijay Prashad, auf „Counterpunch“:
Vor hundert Jahren eröffneten die italienischen Flugzeuge die Phase der Luftbombardierungen mit der Bombardierung genau dieser [libyschen] Städte. Der Futurist Tommaso Marinetti war bei einem dieser Einsätze dabei; er fand die Bombenflüge „hygienisch“ und eine gute „moralische Erziehung“. Das Luftwaffencommuniqué vom 6. November 1911 besagte, die Flüge „zeitigen eine wunderbare Wirkung auf die Moral der Araber“.
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Von links für ausgewählte Teile des Krieges
Statements von linker Seite faktisch für den Libyen-Krieg von USA/Frankreich/UK gibt es zuhauf. Offenbar quer durch verschiedenste Tendenzen: etwa minoritäre Teile der linken Fraktion im Europaparlament, trotzkistische Gruppen, autonome Stimmen, GSOA u.v.a. Meist wird dabei der sogenannten Flugverbotszone das Wort geredet, statt einer Bodeninvasion wird die Aufrüstung der „Rebellen“ befürwortet.
Zu den vehementen, gleichzeitig reflektierten BefürworterInnen einer „humanitären Intervention“ gehört Gilbert Achcar, der bekannte trotzkistische Intellektuelle libanesischer Abstammung. Auf znet.org hat er in den letzten Tagen ein Interview (Libyan Developments) und eine Stellungsnahme (Libya: a legitimate and necessary debate from an anti-imperialist perspective) zu den damit ausgelösten Diskussionen veröffentlicht. Auf BBC vom 22.3.11. ist ein 5-minütiges Interview mit ihm zu hören: http://www.zcommunications.org/bbc-libya-interview-by-gilbert-achcar.
Kernpunkt seiner Argumentation: In Benghasi drohte ein Massaker, das nur durch die „Intervention“ des Westens verhindert werden konnte. Natürlich hat der Westen nicht aus humanitärem Interesse gehandelt, sondern um seine mit Öl zusammenhängenden Interessen zu wahren. Hätte Ghadhafi die aufständische Bevölkerung von Benghasi massakriert, hätte der Imperialismus unter dem Druck der Öffentlichkeit ein Ölembargo verhängen müssen, was aber aufgrund der internationalen Wirtschaftslage nicht in Frage gekommen wäre. Also hat er das Massaker verhindert.
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Antiimperialismus, soziales Engagement?
Da und dort, nicht nur bei Linken in Lateinamerika, geistern immer Vorstellungen von einer „progressiven“ Politik des Ghadhafi-Regimes herum. Dies trotz seiner bis gerade eben innigen Beziehungen mit den USA und der EU, trotz seiner aktiven Mithilfe dabei, dass Tausende von Boatpeople ohne auch nur den geringsten Schein einer Asylprüfung von Italien nach Libyen deportiert wurden; trotz der Politik von Tripolis, MigrantInnen und Flüchtlinge aus Afrika in Wüstenlager zu stecken, wo sie oft umgekommen waren, oder gleich zu Fuss in den Wüstentod zu jagen; trotz der Deportation über Nacht von tausenden von palästinensischen GastarbeiterInnen, als Ghadhafi die Oslo-Abkommenspolitik der PLO kritisierte; trotz der offenbar erbärmlichen Lage vieler GastarbeiterInnen bis heute. Eine Situation, die sich mit den Unruhen noch verschlimmert hat:  “Les migrants subsahariens vivent terrés en Libye“ und „A Benghazi,la détresse des migrants africains“.
Für andere Kritikpunkte an der Ghadhafi-Regierung: „The Libyan Labyrinth“ und „Intervening in Libya“, beide von Vijay Pradash, und „Libya is another case of selective vigilantism by the west“ von Tariq Ali. Beide Autoren kombinieren die Gegnerschaft zum Krieg mit der Kritik am „antiimperialistischen“ Gehabe Ghadhafis.

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Abgereichertes Uran
Die britische Stop the War Coalition veröffentlichte am 24.3.11. den Bericht von David Wilson Depleted uranium: the weapons that dare not speak their name. Zwei Zitate daraus: „In den ersten 24 Stunden des Angriffs auf Libyen haben US-B-2-Bomber 45 2000-Pfund-Bomben abgeworfen. Diese massiven Bomben haben alle, ebenso wie die aus britischen und französischen Schiffen und Fliegern abgefeuerten Cruise Missiles, Sprengköpfe aus abgereichertem Uran gehabt … Als ein Emittent von Alpha-Partikel hat abgereichertes Uran eine Halbwertzeit von 4.5 Milliarden Jahre“.  
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Afrikanische Union out
Aus der grossmundigen Ankündigung vor der Annahme der Kriegsresolution durch den UNO-Sicherheitsrat, die Afrikanische Union mit an Kriegsbord haben zu wollen, ist bisher nichts geworden. Mit Grund: Sie hat sich gegen die Flugverbotszone und andere Kriegsmodalitäten gewandt. Zum Verhältnis Ghadhafi/AU hat sich Colette Braeckman, die bekannte Afrika-Journalistin und Buchautorin, am 22.3.11 im belgischen „Le Soir“ in Ecartée du jeu, l’Union africaine durcit le ton geäussert. Die AU-Ablehnung des Krieges erkläre sich „mit der Aversion und den Ängsten, die jede Militärintervention in Afrika weckt, aber auch mit der dem AU-Komitee von der ‚Koalition’ zugefügten Schmach. Tatsächlich wünschte das Komitee am Sonntag nach Tripolis zu reisen, um dort eine Vermittlung mit Ghadhafi zu beginnen, hatte aber die erforderliche Fluggenehmigungen nicht erhalten. Während die Militäroperationen weitergehen, versucht die AU wieder Tritt zu fassen in der diplomatischen Szene, von der sie vom Westen hinausgeworfen wurde.“
Letzten Samstag haben Jean Ping, Präsident der AU-Kommission, und Amr Mussa, Generalsekretär der Arabischen Liga (in ägyptischem Vorwahlkampfmodus), eine Feuerpause gefordert. Mit dem bekannten Echo im Westen und seinen Medien.
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Zivile Opfer
Noch ganz selten ist im Medienmainstream die Vorstellung anzutreffen, die NATO-Bomben könnten nicht nur Objekte treffen, sondern auch Menschen, selbst zivile. So z.B. im britischen Prokriegs-Blatt „Guardian“ am 28.3.11: „Libya's decisive battle looms as Gaddafi troops head east“. Niemand spricht von einer aufständischen Bevölkerung in Sirte, die zu retten wäre, doch die Bomben fallen auch hier. Der Korrespondent beschreibt die Szene eines Bombeneinschlages im Fischerhafen, dem drei Männer zum Opfer fielen: „Bombenteile steckten in einem kleinen Krater am Ende des steinernen Anlegesteges, der keine vorstellbare militärische Nutzen hatte … ‚Wir sind nur Zivilisten, hier gibt es nichts Militärisches, nur Fischerboote und normale Leute’, klagte Ahmed al-Hashr, dessen Neffe Faraj bei diesem Angriff ums Leben kam. Khamis Mohammed, der an der Sirte-Universität lehrt, beschuldigte die NATO, absichtlich unschuldige ZivilistInnen zu beschiessen und ‚Söldner und Terroristen’ im Osten zu unterstützen. ‚Unsere Grossväter kämpften gegen Mussolini und wir werden kämpfen. Wenn es der NATO wirklich um die Zivilbevölkerung ginge, würden sie und die UNO eine Mission schicken, um herauszufinden, wer der wirklich Aggressor ist’“.
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Ein Horizont voller Kriege
US-Verteidigungsminister Robert Gates im ABC-Programm „This Week“ vom 27.3.11: „Wir hatten Revolutionen im Osten und im  Westen von Libyen [Ägypten und Tunesien]. Deshalb hatten wir ein potenziell signifikant destabilisierendes Ereignis in Libyen, das potenziell ein Risiko für die Revolutionen in Tunesien und Ägypten darstellte. Und das war eine weitere Überlegung, die wir einbeziehen mussten“. (Dazu unten ein Hinweis.)

In „Libya and the Just Use of American Force“  schreibt der ehemalige demokratische Präsidentschaftsanwärter und heutige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat, John Kerry: „Die Militärintervention in Libyen sendet ein kritisches Signal an andere Leaders in der Region: Sie können nicht automatisch davon ausgehen, dass sie zu massiver Gewalt greifen können, um ohne Konsequenzen legitime Forderungen nach Reformen niederzuschlagen. Die Führer des Irans sollten genau auf die an den Tag gelegte Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft achten“.

Sarkozy anlässlich der Unruhen in Syrien: „Frankreich will, dass es keine Gewalt gegen die Zivilbevölkerungen gibt, die demonstrieren … Jeder Führer, und speziell jeder arabische Führer, muss begreifen, dass fortan die Reaktion der internationalen Gemeinschaft und von Europa die gleiche [wie in Libyen] sein wird“ (AFP-Meldung in Le Point vom 25.3.11: „Sarkozy appelle à l'arrêt des violences contre les manifestants syriens“).
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Die „Aufstandsführung“
Ein Who-is-who in der Führung von Benghasi von Peter Dale Scott: „Who are the Libyan Freedom Fighters and Their Patrons?“ auf globalresearch.ca. Nach Scott handelt es sich bei den treibenden Kräften um erzreaktionäre, mit westlichen Geheimdiensten und dem fundamentalistischen Netzwerk der Afghanistan-Mudschaheddin verbundene Seilschaften. Diese Aussage und die ihr zugrunde liegenden Infos stehen konträr zu der auch von maghrebinischen Linkskräften geteilten Ansicht, dass wir es in Libyen mit einer realen linken Revolution zu tun haben. Dass sich die eine „Schule“ mit den Argumenten der anderen auseinandersetzen würde, scheint extremen Seltenheitswert zu haben. Unbezweifelbar ist die Führung in Benghasi grossmehrheitlich reaktionär. Doch das erklärt noch nicht die Dynamik der Ereignisse. Die Globalresearch-Homepage des kanadischen Ökonomen Michel Chossudovsky bringt zwar immer wieder wichtige Infos (auf ein paar der hier genannten Quellen bin ich so gestossen), doch toben sich auf ihr auch oft AutorInnen aus, die von den von ihnen „radikal“ analysierten Gesellschaften keine Ahnung haben. Für Globalresearch scheinen fast alle Ereignisse in der arabischen Welt von der CIA initiiert worden zu sein. Hier drückt sich eine krasse „Metropolenborniertheit“ aus, auch wenn umgekehrt etwa Artikel aus chinesischen oder russischen Medien Einblicke vermitteln, die anderswo kaum zu kriegen sind. Widerlicherweise lässt Chossudovsky zu bestimmten Themen wie Finanzpolitik oder Freihandelsone in den Amerikas AutorInnen schreiben, die auf rechtsradikalen Vorstellungen abfahren. Dennoch sind die von Peter Dale Scott gebrachten Darlegungen einzubeziehen.
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Aufwühlender Bericht zu Bahrain
In the face of unbridled attack, a nationwide renewal of resistance in Bahrain“ von Ralph Schoenman, dem ehemaligen Generalsekretär des „Internationalen Tribunals über US-Kriegsverbrechen in Indochina“, von globalresearch.ca gestern übernommen. Schoenman hat enge Kontakte nach Bahrain und beschreibt ein Bild einer seit dem saudischen Einmarsch entfesselten Repression, eines extremen Angstklimas, militärischen Besetzungen von Spitälern, zahlreichen Morden… Unbedingt zu lesen, gerade weil Bahrain seit Beginn des Kriegs in Libyen medial „entsorgt“ wird.
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Ägypten: Die Militärjunta zeigt ihre Fratze
Welche Art von „Revolution“ US-Kriegsminister Gates, wie oben zitiert, in Ägypten beschützen will, macht eine Stellungsnahme einer Reihe ägyptischer Linksorganisationen zum per Notrecht durchgesetzten drakonischen Verbot von Streiks und anderen die Wirtschaft "schädigenden“ Handlungen deutlich: „La criminalisation du droit de grève. Un revers pour la démocratie et la révolution“ auf der Homepage des Mouvement pour le socialisme.