19. Mär 2011
USA glauben nicht an eigenen "Drogenkrieg"
Wikileaks und Lateinamerika: US-Botschaft in Mexiko-Stadt zweifelt an Erfolg militärischer Strategien. Ermordete Menschenrechtsaktivistin diffamiert
Dieser Artikel ist Teil eines Dossiers:
Wikileaks-Veröffentlichungen
Mit der schrittweisen Veröffentlichung einer Viertelmillion Depeschen des US-Außenministeriums gerät die US-Diplomatie in ErklärungsnotNach einem internen Dokument vom 5. Oktober 2009 teilte die Botschaft die Sorgen der mexikanischen Regierung, wie man den "Drogenkrieg" nach den Präsidentschaftswahlen von 2012 fortsetzen könne. Hinzu kam die Erkenntnis, dass aufgrund früherer Versäumnisse die verbleibende Zeit der Präsidentschaft Calderóns zum Aufbau von "Institutionen" im Kampf gegen die Kartelle nun nicht mehr ausreicht. Stattdessen geht es inzwischen um symbolische Siege, um die Konfrontation über das Jahr 2012 hinaus aufrechterhalten zu können.
Im Oktober 2009 wurde von US-Diplomaten und mexikanischen Regierungsvertretern eine Strategie formuliert, um innerhalb der nächsten 18 Monate in Ciudad Juarez, Tijuana, und einer weiteren Stadt "der derzeitigen Welle von Gewalt und Instabilität Einhalt zu gebieten und Erfolge im Kampf gegen die Drogenkartelle vorzuweisen". Dieser Versuch ist inzwischen aber offenbar gescheitert. Das Jahr 2010 brachte für Ciudad Juarez die Rekordzahl von 3.000 Toten des Drogenkrieges und für 2011 zeichnet sich eine Fortsetzung dieses Trends ab.
Parallel dazu diffamierte der US-Diplomat John D. Feeley in einer Depesche vom 28. Januar 2010 die Menschenrechtsaktivistin Josefina Reyes, eine unverblümte Kritikerin der Menschenrechtsverletzungen durch die mexikanische Armee. Ihre Ermordung am 3. Januar 2010 habe "mehr mit ihren Verbindungen zum organisierten Verbrechen zu tun als mit ihrer Arbeit in Menschenrechtsorganisationen." Als einzigen Beleg für die Verbindung zum organisierten Verbrechen – an anderer Stelle des Dokuments wird gleich die gesamte Familie Reyes bezichtigt – präsentierte Feeley die Tatsachen, dass dies "lokal bekannt" sei und ihr Sohn im Rahmen von Drogenbekämpfungsaktionen zweimal von der Armee festgenommen wurde.
Drei weitere Mitglieder der Familie - Magdalena Reyes Salazar, ihr Bruder Elias Reyes Salazar und seine Frau Luisa Ornelas Soto, die in den vorangegangenen Monaten ebenfalls die von der Armee begangenen Menschenrechtsverletzungen heftig kritisiert hatten, wurden am 7. Februar 2011 entführt. Ihre Leichen fand man am 25. Februar. Insgesamt starben sechs Mitglieder der Familie Reyes eines gewaltsamen Todes, die Mehrzahl von ihnen, nachdem sie offenkundig von Armeeangehörigen bedroht worden waren.
Während diese Dinge geschehen, bekannte sich Brigadegeneral Carlos Villa Castillo in einem Interview mit der Tageszeitung La Jornada öffentlich zu extralegalen Hinrichtungen.