Strassenkämpfe in Tegucigalpa
(zas, 28.3.11) Im Schatten von Fukushima und dem Krieg in Libyen hat sich die Situation in Honduras seit dem 17. März massiv verstärkt. An jenem Donnerstag begannen die LehrerInnen ihren seit dem 7. März andauernden Streik gegen ihre Entrechtlichung und die Politik der Erziehungsprivatisierung auf die Strasse zu tragen. Insbesondere die Hauptstadt Tegucigalpa erlebte dabei veritable Strassenschlachten. Viele Stimmen aus der Volkswiderstandsfront FNRP sprechen davon, dass die offene Repression ein Niveau wie in den ersten Monaten nach dem Putsch vom 28. Juni 2009 erreicht hat.
Der Angriff erfolgt auf zwei Schienen. Zum einen soll das Erziehungswesen „munizipalisiert“ werden. Die Gemeinden und die Eltern erhalten mehr „Autonomie“, was Schulwesen, Anstellungsverhältnisse für Lehrkräfte und anderes betrifft. Im Klartext: Sie werden zur Finanzierung herangezogen, „kundenfreundliche Kostentransparenz“. Es ist das Prinzip der sogenannten Vertragsschulen (charter schools) in den USA: reiche Gemeinden leisten sich eine gute Schule, arme eine schlechte. Eine Lieblingsidee der Weltbank, die dieses oft als „autonome Schule“ verklärte Konzept in den 90er Jahren in El Salvador in einem Pilotprojekt forciert und danach mit Verweis auf den „Erfolg“ des salvadorianischen Educo-Programms rund um den Globus propagiert hat. (Fussnote: Eine der allerersten Amtshandlungen des neuen FMLN-Erziehungsministers Salvador Sánchez Cerén, gegen die anfängliche Obstruktion von Präsident und Weltbank-Fan Mauricio Funes, bestand darin, Educo und die fast 10'000 darin prekär beschäftigten Lehrkräfte ins ordentliche Schulsystem zu integrieren.)
Zum andern will das Putschnachfolgeregime von Staatspräsident Porfirio Lobo das LehrerInnenstatut aushebeln, welches die sozialen Errungenschaften der Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte kondensiert und weit über das Erziehungswesen hinaus als Massstab für Kollektivverträge fungiert hat. Lobos Begründung: Ein Loch in der LehrerInnenpensionskasse INPREMA erzwinge die Abschaffung des veralteten, auf Partikularinteressen ausgerichteten Systems (die Argumentationsschiene ist auch hierzulande bekannt). Unerwähnt bleibt dabei, dass das Putschregime wegen der durch die Proteste stark gelähmten Wirtschaftsleistungen bedingten Finanznot und mangelndem Zugang zu internationalen Finanzquellen sich nicht nur an den zweckentfremdeten Krediten des ALBA-Bündnisses gelabt hat, sondern auch an $250 Mio., die es einfach aus der INPREMA-Kasse stahl. Für honduranische Verhältnisse ein Riesenbetrag.
Seit dem 17. März nun dauert ein von den Gewerkschaften ausgerufener Streik eines Teils des Lehrpersonals an, begleitet von zahlreichen Demos mit Verkehrsblockaden in verschiedenen honduranischen Städten. Schon am folgenden Tag wurde dabei die Lehrerin und Vizeschulleiterin Ilse Ivana Velásquez (59) durch eine direkt auf sie abgefeuerte Tränengasgranate am Kopf tödlich verletzt. Die Compañera war eine Mitbegründerin des Komitees der Angehörigen von Verschwundenen und politischen Gefangenen COFADEH in den 80er Jahren gewesen, heute eine der wichtigsten Menschenrechtsorganisationen. Damals war ihr linker Bruder Angel Velásquez von den staatlichen Sicherheitskräften entführt worden. Seine Leiche wurde später mit schweren Verstümmelungen gefunden.
Letzten Mittwoch kam es am Morgen zu einer zweistündigen Schlacht zwischen StudentInnen und Universitätsangehörigen mit Spezialeinheiten der Polizei auf dem Gelände der staatlichen Universität UNAH in Tegucigalpa. Sie endete mit einer Niederlage der Angreifer. Begonnen hatte sie um 9h früh mit einer Strassenbesetzung vor der Uni. Die Polizeieinheiten griffen die blockierenden StudentInnen an und verfolgten sie unter massivem Einsatz von Tränengas und Wasserwerfer in den Campus hinein, wo gleichzeitig Prüfungen abgehalten wurden. Carlos Romero vom Frente de Reforma Universitaria erklärte dazu: „Als UnistudentInnen verteidigen wir die nationale Universität, denn das Parlament will mit Unterstützung der Privatunis der [UNAH] die Befugnis nehmen, die höhere Ausbildung zu regulieren“. Das Tränengas verhinderte sowieso jeglichen weiteren Normalbetrieb und die Prüfungsstudis schlossen sich dem Widerstand gegen die vorrückenden Polizeieinheiten. Auch in Honduras hat die universitäre Autonomie (u.a. keine staatlichen Sicherheitskräfte auf dem Campus) einen sehr hohen Stellenwert. Es entbrannte ein Kampf um jedes Gebäude, nach zwei Stunden mussten sich die Sicherheitskräfte, denen Tränengas und Wasser ausgegangen war, unter einem Steinhagel zurückziehen. Am Nachmittag besetzten die Studis wieder die Strasse vor dem Gelände. Gleichzeitig blockierten andere Organisationen der FNRP-Jugend die Hauptstrasse von Tegucigalpa in das Departement El Paraíso.
Letzten Freitag kam es in mehren Städten, vor allem aber in Tegucigalpa, zu einem Grosseinsatz der Sicherheitskräfte gegen die streikenden und demonstrierenden LehrerInnen. Verschiedene Berichte und Videos (s. http://vimeo.com/21222126) belegen ein Bild grösster Aggressivität der Staatsorgane. Schulen und Lokale der LehrerInnengewerkschaft, insbesondere von COPEMH, aber auch stark frequentierte Verkehrsachen und grosse Verkaufszentren wurden mit Tränengas eingedeckt. Immer wieder kam es zu Polizeiangriffen auf reale oder vermeintliche DemonstrantInnen, wilden Verfolgungsjagden, und illegalen Hausdurchsuchungen in benachbarten Quartieren. Menschen wurden brutal aus Taxis oder Bussen gezerrt. Laut allgemeinem FNPR-Tenor handelt es sich um Zustände wie im September 2009, als das die PutschistInnen eine beginnende Revolte in den Unterklassenquartieren von Tegucigalpa niederschlugen.
Die regimekritischen Medien „Globo TV“ und „Canal 36“ zeigten Szenen, auf denen Soldaten (illegal) junger Menschen festnahmen und sie in ein (illegales) Haftzentrum im Innern des Armeesozialversicherungsinstituts IPM verbrachten. StaatsanwältInnen, die anschliessend versuchten, Zugang zu den Gefangenen zu erhalten, wurden daran laut „El Libertador“ von den Soldaten mit der Begründung gehindert, es handle sich um einen „privaten“ Ort. JournalistInnen der beiden Medien wurden in diesen Tagen mehrmals von den Sicherheitskräften bei ihrer Arbeit gezielt angegriffen.
Die Putschregierung II erklärte letzten Samstag den LehrerInnenstreik, der nur von einem Teil befolgt wird, für illegal. Wer ab heute Montag nicht zur Arbeit erscheint, erhält zwei Monate, wer am Mittwoch immer noch mit Abwesenheit glänzt, ein halbes Jahr Lohnausfall, und wer am nächsten Montag noch streikt, die Kündigung. Gleichzeitig ruft die Widerstandsfont des FNPR für nächsten Mittwoch zu einem grossen Aktionstag auf, an dem Schulen, öffentliche Einrichtungen und Strassenverbindungen blockiert werden sollen.
(zas, 28.3.11) Im Schatten von Fukushima und dem Krieg in Libyen hat sich die Situation in Honduras seit dem 17. März massiv verstärkt. An jenem Donnerstag begannen die LehrerInnen ihren seit dem 7. März andauernden Streik gegen ihre Entrechtlichung und die Politik der Erziehungsprivatisierung auf die Strasse zu tragen. Insbesondere die Hauptstadt Tegucigalpa erlebte dabei veritable Strassenschlachten. Viele Stimmen aus der Volkswiderstandsfront FNRP sprechen davon, dass die offene Repression ein Niveau wie in den ersten Monaten nach dem Putsch vom 28. Juni 2009 erreicht hat.
Der Angriff erfolgt auf zwei Schienen. Zum einen soll das Erziehungswesen „munizipalisiert“ werden. Die Gemeinden und die Eltern erhalten mehr „Autonomie“, was Schulwesen, Anstellungsverhältnisse für Lehrkräfte und anderes betrifft. Im Klartext: Sie werden zur Finanzierung herangezogen, „kundenfreundliche Kostentransparenz“. Es ist das Prinzip der sogenannten Vertragsschulen (charter schools) in den USA: reiche Gemeinden leisten sich eine gute Schule, arme eine schlechte. Eine Lieblingsidee der Weltbank, die dieses oft als „autonome Schule“ verklärte Konzept in den 90er Jahren in El Salvador in einem Pilotprojekt forciert und danach mit Verweis auf den „Erfolg“ des salvadorianischen Educo-Programms rund um den Globus propagiert hat. (Fussnote: Eine der allerersten Amtshandlungen des neuen FMLN-Erziehungsministers Salvador Sánchez Cerén, gegen die anfängliche Obstruktion von Präsident und Weltbank-Fan Mauricio Funes, bestand darin, Educo und die fast 10'000 darin prekär beschäftigten Lehrkräfte ins ordentliche Schulsystem zu integrieren.)
Zum andern will das Putschnachfolgeregime von Staatspräsident Porfirio Lobo das LehrerInnenstatut aushebeln, welches die sozialen Errungenschaften der Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte kondensiert und weit über das Erziehungswesen hinaus als Massstab für Kollektivverträge fungiert hat. Lobos Begründung: Ein Loch in der LehrerInnenpensionskasse INPREMA erzwinge die Abschaffung des veralteten, auf Partikularinteressen ausgerichteten Systems (die Argumentationsschiene ist auch hierzulande bekannt). Unerwähnt bleibt dabei, dass das Putschregime wegen der durch die Proteste stark gelähmten Wirtschaftsleistungen bedingten Finanznot und mangelndem Zugang zu internationalen Finanzquellen sich nicht nur an den zweckentfremdeten Krediten des ALBA-Bündnisses gelabt hat, sondern auch an $250 Mio., die es einfach aus der INPREMA-Kasse stahl. Für honduranische Verhältnisse ein Riesenbetrag.
Seit dem 17. März nun dauert ein von den Gewerkschaften ausgerufener Streik eines Teils des Lehrpersonals an, begleitet von zahlreichen Demos mit Verkehrsblockaden in verschiedenen honduranischen Städten. Schon am folgenden Tag wurde dabei die Lehrerin und Vizeschulleiterin Ilse Ivana Velásquez (59) durch eine direkt auf sie abgefeuerte Tränengasgranate am Kopf tödlich verletzt. Die Compañera war eine Mitbegründerin des Komitees der Angehörigen von Verschwundenen und politischen Gefangenen COFADEH in den 80er Jahren gewesen, heute eine der wichtigsten Menschenrechtsorganisationen. Damals war ihr linker Bruder Angel Velásquez von den staatlichen Sicherheitskräften entführt worden. Seine Leiche wurde später mit schweren Verstümmelungen gefunden.
Letzten Mittwoch kam es am Morgen zu einer zweistündigen Schlacht zwischen StudentInnen und Universitätsangehörigen mit Spezialeinheiten der Polizei auf dem Gelände der staatlichen Universität UNAH in Tegucigalpa. Sie endete mit einer Niederlage der Angreifer. Begonnen hatte sie um 9h früh mit einer Strassenbesetzung vor der Uni. Die Polizeieinheiten griffen die blockierenden StudentInnen an und verfolgten sie unter massivem Einsatz von Tränengas und Wasserwerfer in den Campus hinein, wo gleichzeitig Prüfungen abgehalten wurden. Carlos Romero vom Frente de Reforma Universitaria erklärte dazu: „Als UnistudentInnen verteidigen wir die nationale Universität, denn das Parlament will mit Unterstützung der Privatunis der [UNAH] die Befugnis nehmen, die höhere Ausbildung zu regulieren“. Das Tränengas verhinderte sowieso jeglichen weiteren Normalbetrieb und die Prüfungsstudis schlossen sich dem Widerstand gegen die vorrückenden Polizeieinheiten. Auch in Honduras hat die universitäre Autonomie (u.a. keine staatlichen Sicherheitskräfte auf dem Campus) einen sehr hohen Stellenwert. Es entbrannte ein Kampf um jedes Gebäude, nach zwei Stunden mussten sich die Sicherheitskräfte, denen Tränengas und Wasser ausgegangen war, unter einem Steinhagel zurückziehen. Am Nachmittag besetzten die Studis wieder die Strasse vor dem Gelände. Gleichzeitig blockierten andere Organisationen der FNRP-Jugend die Hauptstrasse von Tegucigalpa in das Departement El Paraíso.
Letzten Freitag kam es in mehren Städten, vor allem aber in Tegucigalpa, zu einem Grosseinsatz der Sicherheitskräfte gegen die streikenden und demonstrierenden LehrerInnen. Verschiedene Berichte und Videos (s. http://vimeo.com/21222126) belegen ein Bild grösster Aggressivität der Staatsorgane. Schulen und Lokale der LehrerInnengewerkschaft, insbesondere von COPEMH, aber auch stark frequentierte Verkehrsachen und grosse Verkaufszentren wurden mit Tränengas eingedeckt. Immer wieder kam es zu Polizeiangriffen auf reale oder vermeintliche DemonstrantInnen, wilden Verfolgungsjagden, und illegalen Hausdurchsuchungen in benachbarten Quartieren. Menschen wurden brutal aus Taxis oder Bussen gezerrt. Laut allgemeinem FNPR-Tenor handelt es sich um Zustände wie im September 2009, als das die PutschistInnen eine beginnende Revolte in den Unterklassenquartieren von Tegucigalpa niederschlugen.
Die regimekritischen Medien „Globo TV“ und „Canal 36“ zeigten Szenen, auf denen Soldaten (illegal) junger Menschen festnahmen und sie in ein (illegales) Haftzentrum im Innern des Armeesozialversicherungsinstituts IPM verbrachten. StaatsanwältInnen, die anschliessend versuchten, Zugang zu den Gefangenen zu erhalten, wurden daran laut „El Libertador“ von den Soldaten mit der Begründung gehindert, es handle sich um einen „privaten“ Ort. JournalistInnen der beiden Medien wurden in diesen Tagen mehrmals von den Sicherheitskräften bei ihrer Arbeit gezielt angegriffen.
Während eines Interviews mit einem Polizisten wird die Canal 36-Journalistin Lidieth Díaz von einem anderen Polizisten mit einer Tränengasgranate beworfen. Quelle: El Libertador. |
Die Putschregierung II erklärte letzten Samstag den LehrerInnenstreik, der nur von einem Teil befolgt wird, für illegal. Wer ab heute Montag nicht zur Arbeit erscheint, erhält zwei Monate, wer am Mittwoch immer noch mit Abwesenheit glänzt, ein halbes Jahr Lohnausfall, und wer am nächsten Montag noch streikt, die Kündigung. Gleichzeitig ruft die Widerstandsfont des FNPR für nächsten Mittwoch zu einem grossen Aktionstag auf, an dem Schulen, öffentliche Einrichtungen und Strassenverbindungen blockiert werden sollen.