Wie US-Dienste mithelfen, die Drogenkartelle auszurüsten
(zas, 24.4.11) Das Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms, and Explosives (ATF) hatte seit 2009 Waffengeschäfte in Phoenix (Arizona) gebeten, die Massenkäufe bestimmter mutmasslicher Kartell-Leute nicht zu behindern. Die ATF-AgentInnen schauten zu, wie die EinkäuferInnen ihre Waren weitergaben – ohne einzugreifen. Die Waffen tauchten wie vorausgesehen in den Händen der mexikanischen Kartelle wieder auf, bloss leider hatte das ATF die Spur zwischenzeitlich verloren… Am 14. Dezember 2010 wurde Brian Terry von der Border Patrol (US-Grenzpolizei) von Schleppern während eines illegalen Grenzübertritts erschossen. Die Mordwaffe war, wie sich herausstellen sollte, Teil der ATF-Operation Fast and Furious. Am 23. Februar 2011 brachte Sharyl Attkisson, gestützt auf Aussagen mehrerer anonym bleiben wollender ATF-Mitglieder, einen ersten Bericht (Gunrunning scandal uncovered at the ATF) zu Fast and Furious in „CBS News“. Eine der ATF-Quellen meinte damals zu CBS: „Die Anzahl [der Fast and Furious-Waffen] ist übrigens mehr als 2500. Soviele Gewehre wurden verkauft – auch einige mit Kaliber .50 [Scharfschützengewehre] liessen sie laufen“. CBS zitierte eine andere anonyme ATF-Quelle: „Wir waren uns der Tatsache voll bewusst, dass die Waffen vermutlich an Drogenkartelle über die Grenze verschoben würden“. Am 3. März 2011 brachte „CBS News“ ein Interview mit ATF-Whistlblower John Dodson und veröffentlichte auch einen Auszug aus einer Email des für das gunwalking (Laufen lassen illegaler Waffengeschäfte) verantwortlichen ATF-Supervisors: „985 im März 2010 [in Mexiko] umgebracht … gewalttätigster Monat seit 2005… Unsere Subjekte erwarben allein im März 359 Feuerwaffen“, einschliesslich „zahlreicher Barrett- .50-Kalibergewehre“. CBS berichtete weiter: „Höhere AgentInnen inklusive Dodson sagten CBS News, dass sie ihre SupervisorInnen noch und noch konfrontiert haben. Ihre Antwort, so Dodson, war: ‚Für eine Omelette muss man Eier zerschlagen’“. Die Aktion war intern so umstritten, dass ein ATF-Kader in einer Email von einem „Schisma“ sprach, auf die Absegnung des Programms aus dem „HQ“ hin wies und meinte: „Wenn Sie das nicht lustig finden, arbeiten Sie am falschen Ort. Vielleicht sucht das Maricopa County-Gefängnis Wärter und Sie … können den Insassen das Essen servieren“.
Einer, der das Ganze nicht „lustig“ fand, war der ATF-Vertreter in Mexiko, Darren Gil. Er kündigte seinen Job letzten Dezember, vermutlich auch, weil ihm, wie er am 25. März 2011 im Gespräch mit Sharyl Attkisson andeutete, angesichts der möglichen Konsequenzen unwohl wurde. Er erwähnte eine „beschränkte diplomatische Immunität“, sprach davon, dass mexikanische Behörden die Waffendeals möglicherweise als „Kriegshandlung“ interpretieren könnten und meinte zudem: „Wir sind im Geschäft der Unterbindung von Waffen, wir sind nicht im Geschäft, Waffen für die Kriminellen bereit zu stellen, was aber in diesem Fall geschehen ist“. Offenbar war Gil nicht in Fast and Furious eingeweiht gewesen – ein äusserst bemerkenswerter Umstand! Immerhin wollte ATF mit dem gunwalking offiziell ja genau jene kriminellen Strukturen in Mexiko ausleuchten, für die ihr Mexiko-Büro zuständig war. Gil war anscheinend erst durch die massenhaften Funde von Waffen aus Phoenix und danach durch die CBS-Berichte aufgeklärt worden. Danach habe er sich mit seinen Vorgesetzten angelegt. Der erwähnte CBS-Bericht vom 25. März liefert etwa dieses Beispiel: „’Ist der [ATF-] Direktor [über Fast and Furious] informiert’, fragte Gil seinen Supervisor. Gil sagt, sein Supervisor habe geantwortet: ‚Ja, der Direktor ist informiert. Und nicht nur er, sondern auch das Justizministerium’“. Gil berichtete denn auch, dass Lanny Breuer, Chef der Criminal Division des Ministeriums, im Sommer letzten Jahres bei einem Besuch bei ATF-Mexiko in allgemeinen Begriffen von einer „gute Resultate liefernden“ Waffenhandelsuntersuchung gesprochen.
Mittlerweile wird ATF vor den US-Senat zwangsvorgeladen (subpoena). „CBS“ zitierte im o.e. Bericht zu dieser Sache auch Barack Obama: „Ich habe das nicht bewilligt. Auch Justizminister Eric Holder hat das nicht bewilligt“.
Interessant die offizielle Nicht-Reaktion in Mexiko. Der Sprecher des „Nationalen Sicherheitsrates“, Alejandro Poiré, „glaubte“ einfach nicht, dass sich so etwas Unschickliches wie Fast and Furious zugetragen habe. Für böses Blut im Land, nicht aber in der „Drogenkriegs“-Regierung, sorgten Erklärungen des State Department-Drogenverantwortlichen William Brownfield in der Zeitung „Reforma“ vom 9. März 2011. Zwar gab er an, nicht im Detail informiert zu sein, wusste aber, dass sich herausstellen werde, dass nur wenige Waffen der Kontrolle entglitten seien und einige Anklagen bevorstünden. Ominös seine Aussage: „Wenn wir alle Details dieser Operation haben werden, werden wir sehen, dass sie sehr positive Resultate gezeitigt hat“. Für Laura Carlsen, die bekannte Analytikerin des Americas Program des Council for International Policy, bedeutet dies, dass die Operation „weiter geht“.
Die „Affaire“ ist brisant. US-Waffen für die mexikanischen Kartelle sind schon seit einiger Zeit Thema; führende VertreterInnen der Obama-Administration wie Hillary Clinton mussten in Mexiko Lippenbekenntnisse zur verschärften Bekämpfung des florierenden Waffendeals über die Grenze von sich geben. Auszüge aus einem Interview mit ATF-Whistleblower Dodson wie die folgenden in der mexikanischen Zeitschrift „Proceso“ vom 27. März 2011 tragen nicht zur Beruhigung bei: „Was geschah mit den Waffen, nachdem sie [von den EinkäuferInnen in Phoenix] in andere Wagen verladen wurden?“ Antwort: „Man hat uns verboten, die Individuen zu verhaften, wir konnten die Waffen nicht beschlagnahmen oder die Involvierten identifizieren. Unsere Mission war nur das Observieren. So verloren wir die Spur der Waffen, und sie gelangten nach Mexiko“. Dodson beschreibt im Weiteren, wie er in ATF kaltgestellt wurde, noch bevor er an die Öffentlichkeit gelangt war, aber nachdem er intern die Operation in Frage zu stellen begann.
Die „Unstimmigkeiten“ im US-Drogenkrieg in Mexiko mehren sich. Was von Brownfield, dem Obama-Beauftragten für die Militarisierung von Mexiko, Zentralamerika und der Karibik (s. Correos 165, März 2011) als erfolgreiche Sting-Operation dargestellt wird, nimmt sich mehr wie ein weiteres Element des „tiefen Staates“ aus, der in Mexiko (und zunehmend in Zentralamerika) seinen „Drogenkrieg“ führt. Parallel dazu waschen führende US-Geschäftsbanken riesige Mengen mexikanischer Narcodollars – ungestraft. Oder beklagen mexikanische JournalistInnen, dass von den in den letzten drei Jahren umgebrachten Medienschaffenden, die angeblich auf das Konto der Drogendealer gehen, nur gerade 6 Prozent tatsächlich damit zu tun haben (s. Correos 164