Chomsky zu "Drogenkrieg"

Mittwoch, 3. August 2011

NOAM CHOMSKY:
DER KRIEG GEGEN DROGEN IST EINE ERFINDUNG, UM FREIHEITEN EINZUSCHRÄNKEN
von David Brooks (in La Jornada)
übersetzt von Jens-Torsten Bohlke
Havanna, 8. Juli 2011, Cubadebate (mit freundlicher Genehmigung von La Jornada). (auf Kommunisten-online am 12. Juli 2011) – Noam Chomsky sagt, dass der Krieg gegen die Drogen erfunden wurde, um demokratische Tendenzen in den USA zu unterdrücken. Und dass er benutzt wurde, um Interventionen zu rechtfertigen und gegen Bedrohungen für die Machtstellung des Imperiums im Ausland vorzugehen. In vielen Interviews und Schriften der letzten Jahre bekräftigte der herausragendste kritische Denker der USA, dass dieser Krieg stets ganz andere Zielstellungen als die amtlich verkündeten hatte.
Er bestätigt, dass er denselben Blick auf das Thema hat, als er es La Jornada in Mexiko City auf der Veranstaltung zum 25. Jahrestag dieser Zeitung für das Interview anbot.
Noam Chomsky sagte:
„Der Krieg gegen die Drogen, welcher etliche Länder Lateinamerikas in Mitleidenschaft zieht, darunter auch Mexiko, hat alte Vorgänger. Belebt von Nixon war er ein Bestreben, die Auswirkungen des Vietnamkriegs in den USA zu überwinden.
Der Vietnamkrieg war ein Faktor, welcher in den 1960er Jahren zu einer bedeutenden Kulturrevolution führte, die das Land zivilisierte: Frauenrechte, Bürgerrechte. Oder sagen wir mal, sie demokratisierte das Land, wobei sie die Eliten angriff. Das Allerletzte, was diese Eliten wollten, war die Demokratie, die Rechte der Bevölkerung, usw., so dass sie eine gewaltige Gegenoffensive starteten. Ein Teil davon war der Krieg gegen die Drogen.
Dieser Krieg gegen die Drogen wurde entwickelt, um die Konzeption des Vietnamkriegs, was wir dort mit den Vietnamesen machten, dahin zu verlagern, dass sie mit uns da was machten. Das große Thema Ende der 1960er Jahre in selbst den liberalen Medien war der Vietnamkrieg als ein Krieg gegen die USA.
Die Vietnamesen waren dabei, unser Land mit Drogen zu zerstören. Das war ein Mythos, welcher von den Medien in Filmen und in der Presse fabriziert wurde. Da wurde die Story von einer Armee voller drogenabhängiger Soldaten erfunden, die dann bei ihrer Rückkehr zu Verbrechern werden und unsere Städte terrorisieren. Jawohl, es gab Drogengebrauch bei den Militärangehörigen. Aber er war nicht wesentlich anders als jener, welcher in den anderen Teilen der Gesellschaft vorhanden war. Das war ein fabrizierter Mythos. Darum ging es beim Krieg gegen die Drogen. So wurde die Konzeption vom Vietnamkrieg verändert in eine Auffassung, nach welcher wir die Opfer waren.
Dies passt sehr gut zur Kampagne für Recht und Ordnung. Es wurde gesagt, dass unsere Städte von der Antikriegsbewegung und den kulturellen Rebellen zerfetzt sind. Und darum müssten wir Recht und Ordnung durchsetzen. Was den Krieg gegen die Drogen enthielt.
Reagan erweitere diesen Krieg deutlich. In den ersten Jahren seiner Amtszeit wurde die Kampagne verstärkt. Dabei wurden die Kommunisten beschuldigt, den Drogenkonsum zu fördern.
Zu Beginn der 1980er Jahre ... das war, als die Zahl der Inhaftierten rasch anstieg, vor allem durch viele Festnahmen von Menschen schwarzer Hautfarbe in den USA. Jetzt ist die Pro-Kopf-Zahl von Inhaftierten gemessen an der Bevölkerungszahl in den USA die höchste Zahl im Weltmaßstab. Dessen ungeachtet ist die Verbrechensrate fast gleich der in anderen Ländern. Das ist eben die Kontrolle über einen Teil der Bevölkerung. Das ist eine Klassensache.
Der Krieg gegen die Drogen, wie auch andere Spielarten der Politik bei den Liberalen und bei den Konservativen, ist ein Bestreben, um die Demokratisierung der gesellschaftlichen Kräfte zu beherrschen.“
So weit die Schlussfolgerung von Chomsky. Chomsky führte viel über diese Punkte in seinem Vortrag an der Nationalen Universität Mexiko (UNAM) aus, wo er stärker auf die internationalen Ausmaße des US-Kriegs gegen die Drogen einging. Er sagte, dass zum Intervenieren zwecks politischer Beherrschung gewisser Regionen der Welt, darunter Lateinamerika, „der Vorwand der 'Krieg gegen die Drogen' ist. Aber es ist schwierig, dies ganz ernst zu nehmen. Selbst wenn wir der außergewöhnlichen Annahme zustimmen würden, dass die USA das Recht haben, einen 'Krieg' auf ausländischem Boden zu führen.
Von der US-Regierung durchgeführte Studien und andere Forschungen haben gezeigt, dass die wirksamste und kostengünstigste Form zur Kontrolle des Drogenkonsums die Vorbeugung, die Behandlung und die Erziehung ist. Darüber hinaus ist nachgewiesen worden, dass die kostspieligsten und unwirksamsten Methoden die Einsätze außerhalb des eigenen Landes sind, zum Beispiel das Besprühen und die gewaltsame Verfolgung. Die Tatsache, dass ständig die unwirksamsten und kostspieligsten Methoden gegenüber den besseren Methoden vorgezogen werden, ist hinreichend, um uns aufzuzeigen, dass die Ziele des 'Kriegs gegen die Drogen' nicht die sind, welche da verkündet werden.
Um die wirklichen Ziele zu bestimmen, können wir zu dem Rechtsgrundsatz greifen, dass die absehbaren Tatfolgen die Tatabsicht belegen. Und die Folgen sind nicht im Dunkeln. In den Programmen wird eine Aufstandsbekämpfung im Ausland und eine Art 'gesellschaftliche Säuberung' im Inneren zugrunde gelegt. Dazu werden gewaltige Zahlen von Menschen 'überflüssig', fast immer Männer schwarzer Hautfarbe, die in die Gefängnisse gesteckt werden. Eine Erscheinung, die bereits zur höchsten Inhaftierungsrate der Welt führte, und zwar bei weitem, seitdem vor 40 Jahren die Programme gestartet wurden.“
In seinen Essays, so beispielsweise in seinem Buch Hopes and prospects (Hoffnungen und Realitäten) schrieb Chomsky, dass es unmöglich ist zu denken, dass die USA irgendeine Einmischung eines anderen Landes oder einer internationalen Organisation akzeptieren würde, um den Konsum und die Produktion von Drogen auf ihrem eigenen US-amerikanischen Territorium zu kontrollieren. Die Vorstellung, dass Ausländer sich in die Produktion und die Verteilung von tödlichen Substanzen in den USA einmischen, ist einfach undenkbar. Die Tatsache, dass die Rechtfertigung für die Programme gegen Drogen im Ausland als plausible Erklärung akzeptiert wird bis hin zur Betrachtungsweise als etwas, was zu diskutieren sich lohnt, ist ein weiteres Beispiel für die tiefe Verwurzelung der Mentalität des Imperiums in der westlichen Kultur.