Bolivien: «Ahora sí – guerra civil»

Mittwoch, 13. November 2019



Ich will es Ihnen sagen, damit es die internationalen Medien wissen: Des ersten Aymaras, Quechuas, die lesen und schreiben lernten, haben sie die Augen herausgerissen und die Hände abgeschnitten, damit sie nie mehr zu lesen und schreiben lernten. Wir wurden unterworfen. Jetzt versuchen wir, dieses historische Problem zu lösen, nicht mit Rache, wir sind nicht rachsüchtig.


Und ich will vor allem den indigenen Brüdern von Amerika, die hier in Bolivien versammelt sind, sagen: Die Kampagne des indigen-schwarzen und Armutswiderstands war nicht vergebens, diese 1988, 1989 begonnene Kampagne war nicht vergebens.

Evo Morales bei seinem Regierungsantritt am 22. Januar 2006

Es ist vor allem der indigene Widerstand, jener der Bäuerinnen und Bauern, der Arbeiter (Mineros), der Leute von El Alto, der indigenen Zwillingsstadt von La Paz, der sich jetzt gegen den Putsch formiert.
Natürlich sind die Medien in Bolivien schon voll mit Berichten über die «Vandalenakte» der CSUTCB (der indigenen Agrarföderation), die am letzten Montag in La Paz anmarschierte und im Süden der Stadt Abfallcontainer verbrannten. In jenem Süden der Wohlhabenden (primär «Weissen»), die bei den Jagden der vorausgegangenen Tage auf Aymara und Quechuas mitmachten oder Applaus spendeten, die die putschistischen Polizei und Armee feierten. Jetzt sassen sie ängstlich in ihren Häusern und filmten die «Vandalenakte» der Unterdrückten. Man sah die Videos auf den Mainstreamhomepages und es war fast …. lächerlich. Szenen, die man von jeder zweiten Demo in der Schweiz her kennt, die die Polizei auflöst. Die Hetzjagden zuvor waren «Widerstand» gegen Evo, jetzt aber kam «Terror» auf. Und Terror war in der Nacht auf Sonntag, als die mutigen Kontingente des Mobs in La Paz, jederzeit bereit, Angehörige des Sub-Volkes zu züchtigen, in Panik davon anrannten, als die organisierten indigenen Compañeros und Compañeras in die Stadt kamen. Da ertönte der Schrei nach Einsatz von Armee und Polizei tief aus jenen Seelen, die vor wenigen Tagen noch beschworen, dass ebendiese Repressionsorgane nicht gegen das Volk eingesetzt werden dürfen.
Nein, ganz unbegründet ist diese Angst nicht. Einer Compañera in El Salvador ging es kalt den Rücken runter, als sie das folgende Video aus El Alto gesehen hatte. Es waren die Ponchos Rojos, kampferprobte Kontingente aus dem Hochland, die in El Alto ankamen und skandierten: «Ahora sí – guerra civil» (Aber jetzt – Bürgerkrieg). 

Die BewohnerInnen waren zur Begrüssung herbeigeströmt. Im Video der erfreute Ausruf eines Anwohners: «Sie sind bewaffnet!» Und sei’s mit Stöcken. Die gleiche Parole heute früh bei der Blockade der Autobahn nach El Alto durch die Confederación Sindical de Comunidades Interculturales. Im Video sind ein paar wenige Flinten zu sehen. Die gleiche Sprache vorgestern aus dem Mund eines Anführers der Mineros an der Grossmobilisierung in La Paz gegen den Putsch: «Sie haben den Klassenkampf wieder aufs Tapet gebracht. Der Klassenkampf ist hier – zwischen Weissen und Schwarzen. Das muss ich so sagen. Denn sie akzeptieren nicht genau so wenig wie das Imperium einen indigenen Bruder als Präsidenten.» Der Mann fügte noch an: «Wir Arbeiter sind heute geeinter als je.»
In El Alto und anderswo wurden am Montag die Polizeistationen gestürmt (an diesem Tag kam es laut Aussagen von AnwohnerInnen von El Alto je nach Quelle zu drei oder sechs Toten). Seither ist die Armee im Einsatz, jene Armee, die ihre Putschunterstützung letzte Woche mit der Erklärung eingeleitet hatte, sie würde nie auf das Volk schiessen. Die Plebs wird wieder zu Sub-Volk. Mehrmals haben Bullen und Militärs in diesen Tagen auf Protestierende geschossen. Militärflugzeuge flogen am Montag andauernd über die Grosskundgebung in La Paz – es gefällt den Gorillas anscheinend, die Zukunft jeweils anzudeuten.
 "Da la nuca - zeig den Hals".

Es ist viel Schmerz, viel Wut zu spüren. Die Leute wissen, wovon Evo in seinem Zitat hier am Anfang gesprochen hat. Und sie wissen, wofür jene stehen, die gerade gegen jede Verfassung und Legalität die Ultra Jeanine Añez, die Weisse, zur «Präsidentin» gemacht haben. Sie rückte gleich mit der Bibel in die Casa Presidencial ein, so wie es ihr Capo, der Faschist Camacho und Leader der "Cívicos", gefordert hatte. 


Dass der Schrei der Erniedrigten, dass die grenzenlose Wut über das Schmierenstück der Transnationalen und Conquista-Erben nicht ausreicht, um den Waffen der Repressionsorgane, der faschistischen Strukturen (Cívicos) und ihrer Bosse in Washington zu widerstehen, ist klar. Hoffen wir, dass es den Bewegungen gelingt, sich gemeinsam zu organisieren und den Kampf auf die Weise zu führen, die den Erwartungen und Bedürfnissen der Leute entspricht. Wir müssen unterdessen den Lügen der neuen Conquistadores entgegentreten.
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PS: Von der Lage im Landesinnern, insbesondere im indigenen Hochland, sind kaum Informationen erhältlich.