Kolumbien/FARC: »Wie lange hätten wir noch warten sollen?«

Montag, 4. November 2019

Aus: Ausgabe vom 01.11.2019, Seite 12 / Thema
Kolumbien

Teile der früheren FARC-Guerilla Kolumbiens sind zum bewaffneten Kampf zurückgekehrt. Sie machen die Oligarchie für das Scheitern des Friedensprozesses verantwortlich. Ein Gespräch mit Iván Márquez und Jesús Santrich
Interview: María Simón, Santiago Baez
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Zurück zum bewaffneten Kampf — Einheiten der FARC-EP in einem Guerillacamp in Südkolumbien (22.6.2001)  

Am 29. August haben Sie in einer Erklärung die Rückkehr zum bewaffneten Kampf angekündigt. Warum geschah dieser Schritt gerade zu diesem Zeitpunkt, und was ist das Ziel?
Das Friedensabkommen von Havanna war ein Dokument, mit dem eine politische Lösung des kolumbianischen Konflikts erreicht werden sollte. Als Vertrag spiegelte es das gesellschaftliche Kräfteverhältnis und die politisch-militärische sowie historisch-konkrete Bilanz des Krieges wider. So haben wir es in den Politischen Thesen der zehnten Nationalen Guerillakonferenz im September 2016 im Vorfeld des Schritts der FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Columbia – Ejército del Pueblo, Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee, jW) in die Legalität festgestellt. Als Instrument einer politischen Lösung beinhaltete es die Anerkennung beider Seiten, dass keine von ihnen mit ihren Waffen und ihrer Feuerkraft den Gegner besiegen konnte. Im Land wurde als Folge des Krieges jede Ordnung geschwächt. Um eine Verlängerung dieser Situation zu verhindern, musste es Bemühungen geben, den Kampf mit ausschließlich politischen Mitteln fortführen zu können. Das Abkommen spiegelte nicht die Verwirklichung unserer strategischen Ziele als revolutionäre Kraft wider, aber noch weniger konnte es als Kapitulation unserer Guerillaorganisation verstanden werden. Wir wollten nicht per Dekret die Revolution durchsetzen, aber noch viel weniger wollten wir in Verhandlungen, bei denen man von seiten der Regierung vielfach nur verlogene und inhaltsleere Worte zu hören bekam, unsere Kapitulation erklären.

Uns war bewusst, dass dies nicht das Ende des der kapitalistischen Ordnung innewohnenden Konflikts sein würde. Aber die Fortsetzung des Klassenkampfes sollte bei Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen und dem Übergang der FARC-EP zu einer legalen politischen Organisation, die den Massen die Hand reicht, ermöglicht werden. Dazu brauchte es bestimmte Garantien für die offene politische Arbeit, um den Einsatz für strukturelle Veränderungen hin zu einer neuen Gesellschaftsordnung, wirklicher Demokratie und sozialer Gerechtigkeit fortsetzen zu können.

Dieses Abkommen ist vom Establishment in dem Augenblick zerrissen worden, als seine Umsetzung beginnen sollte. Schon vorher waren Hindernisse für seine Realisierung errichtet worden. Nach und nach hat die Regierung, die im August 2018 jene von Juan Manuel Santos abgelöst hat, die Gangart verschärft: Die Wiedereingliederung der früheren Kämpfer wurde behindert und die den ärmsten Gemeinden versprochenen Veränderungen – wie zum Beispiel eine umfassende Landreform – wurden beiseite geschoben. Nachdem das Abkommen trotz unserer Anstrengungen, es am Leben zu erhalten, zerstört war, hatten wir keine andere Wahl, als wieder zu den Waffen zu greifen.
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