Dienstag, 4. Januar 2011

Telepolis

Diplomat gesteht Scheitern in Haiti ein

Harald Neuber, 28.12.2010 

Personelle Konsequenzen nach Interview in Schweizer Tageszeitung Le Temps: Organisation Amerikanischer Staaten entlässt nach Kritik ihren Vertreter im Karibikstaat

Einen Monat nach den Präsidentschaftswahlen in Haiti am 28. November liegt noch immer kein Ergebnis vor. Während Vertreter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS)[1] die Resultate überprüfen, wächst die Kritik an der UNO-Politik nicht nur in dem Land. Nun entband die OAS ihren bisherigen Vertreter in Haiti, Ricardo Seitenfus, von seinen Aufgaben, nachdem der brasilianische Diplomat einer Tageszeitung in der Schweiz ein deutliches Interview gegeben hatte. Zentrale Botschaft: Die Politik der „internationalen Gemeinschaft“ gegenüber Haiti ist gescheitert.
Erschienen war das Gespräch[2] am 20. Dezember in der französischsprachigen Tageszeitung Le Temps. Seitenfus, der die OAS gegenüber der „Interimskommission zum Wiederaufbau Haitis“[3] vertrat, nahm gegenüber den Journalisten kein Blatt vor dem Mund. Die UNO-Mission MINUSTAH[4] sei dem Land 2004 aufgezwungen worden, obgleich keine Notwendigkeit für sie bestand. „Haiti ist keine internationale Bedrohung“, so Seitenfus: „Wir sind in keiner Bürgerkriegssituation und Haiti ist weder Irak noch Afghanistan.“ Die Militarisierung erklärt sich der brasilianische Diplomat mit strategischen Überlegungen der USA. Der verarmte Karibikstaat müsse seit kolonialen Zeiten seine Nähe zu den Vereinigten Staaten teuer bezahlen, stellt er fest. Das Land sei auch deswegen „im negativen Sinne“ Ziel der internationalen Zuwendung geworden: „Für die UNO geht es darum, die politische Macht einzufrieren und die Haitianer zu Gefangenen auf der eigenen Insel zu machen“.
Angesichts der humanitären Katastrophe nach dem verheerenden Erdbeben[5] am 12. Januar dieses Jahres und einer Mitte Oktober ausgebrochenen Cholera-Epidemie[6] übt der brasilianische Diplomat zugleich harsche Kritik an Hilfsorganisationen aus den Industriestaaten. Nach dem Beben seien junge Mitarbeiten „ohne jedwede Erfahrung“ in Haiti eingetroffen. „Es gibt hier ein schädliches, fast perverses Verhältnis zwischen diesen Nichtregierungsorganisationen und der Schwäche des haitianischen Staates“, so Seitenfus.
Seit dem Ausbruch der Cholera sind in Haiti nach jüngsten Angaben des Gesundheitsministeriums fast 2600 Menschen an den Folgen der Durchfallerkrankung gestorben. Mehr als 150.000 Personen mussten behandelt werden. Der Krankheitserreger wurde mutmaßlich von UNO-Blauhelmsoldaten eingeschleppt.


Links:
  [1] http://www.oas.org/en/default.asp
  [2] http://www.letemps.ch/Page/Uuid/2a1b8ad0-0bb8-11e0-91f4-4e4896afb502/Ha%C3%AFti_est_la_preuve_de_l%C3%A9chec_de_laide_internationale
  [3] http://www.cirh.ht
  [4] http://www.un.org/en/peacekeeping/missions/minustah
  [5] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31884/1.html
  [6] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33675/1.html

News URL: http://www.heise.de/tp/blogs/8/148999 

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Anmerkung ZAS:

Der im Artikel angegebene Link zum sehr lesenswerten Interview in "Le Temps" funktioniert nicht (bzw. nur gegen Bezahlung). Das Gespräch kann auf "Infosud" gelesen werden: « Haïti est la preuve de l’échec de l’aide internationale »