(zas, 26.5.11) Das Abkommen von Cartagena de Indias vom 22. Mai 2011, das eine Aussöhnung zwischen den Putschisten und den Weggeputschten in Honduras suggeriert, sorgt im Moment für reichlich Verwirrung. (Für die wichtigsten Punkte des Abkommens s. den Eintrag von gestern: Honduras: Abkommenspunkte und erste FNPR-Stellungsnahme.) Vermutlich schon nächste Woche, nachdem am Samstag der gestürzte Ex-Präsident Mel Zelaya und andere Exilierte zurückgekehrt sein werden, lässt sich einiges dazu sagen. Zurzeit ist offenkundig, dass die Mitglieder der Widerstandsfront FNPR versuchen, eine gemeinsame Einschätzung der Vorgänge zu erzielen. Umgekehrt gilt dies übrigens auch für die Putschkräfte. Während ihr Vorzeigemann in der Casa Presidencial so tut, als ob das Abkommen die letzten Hindernisse für die Rückkehr zur Normalität beseitigt hätte, lassen andere politische Machtgruppen der Rechten schon mal ihre Muskeln spielen. Nur als Beispiel: Während das Abkommen klipp und klar stipuliert, dass alle Justizverfahren gegen Zelaya und die anderen rund 200 Exilierten ersatzlos gestrichen seien (Verfahren wegen Korruption u.ä., die sich das Putschlager nachträglich zwecks Rechtfertigung seiner „Rettung des Vaterlandes“ aus den Fingern gesaugt hat), liess Vizesicherheitsminister Armando Calidonio verlauten, „Haftbefehle gegen Ex-Funktionäre bleiben bestehen“ (La Prensa, 25.5.11) (das Blatt nannte u.a. den Namen des Ex-Präsidentschaftsministers Enrique Flores Lanza.
Tatsächlich ist derzeit vieles offen. Ein offener Bruch des Abkommens gleich in den ersten Tagen ab Samstag ist allerdings eher unwahrscheinlich, da die gesamte PutschistInnenenfraktion ein dringendes Bedürfnis nach Normalisierung hat. Die fast zwei Jahre Ausschluss von der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) bedeuteten erhebliche Einbussen an Entwicklungsgelder und Investitionen. Auf den ersten Blick zumindest erscheint das Abkommen als reichlich positiv für die Putschkräfte. Sie müssen zwar die grosse Kröte der Rückkehr der Exilierten schlucken, aber mussten sonst keine realen Zugeständnisse machen. Immerhin ist das nicht zu unterschätzen: Die Präsenz des populären Ex-Präsidenten versuchten sie bisher unter allen Umständen zu verhindern - sie könnte durchaus als Medium für eine weitere Konsolidierung der Widerstandsbewegung dienen, über die aktivistischen Segmente der Bevölkerung hinaus. Doch in Sachen Menschenrechte wurde ausser ein paar hohlen Versprechen rein nichts erreicht. Kein Mörder aus den Schwadronen des Sicherheitsapparates, kein das Staatssilber seit dem Putsch forciert einsteckende Unternehmer muss vor Strafe zittern (s. Kasten am Schluss). Nicht die geringste Reform des Sicherheitsapparates wird angedacht. Den zentralen Punkt des Widerstandes, die „selbst einberufene“ Verfassungsgebende Versammlung zwecks grundlegender Neugründung des Landes in antikapitalistischer Richtung, unter einer im Parlament immer noch nicht definitiv zu Ende gebrachten Regelung bezüglich Plebiszit abzuhandeln, löst im Frente grosse Frustrationen aus. In welche Richtung diese Reise aus der Sicht des Regimes gehen soll, macht eine Passage aus einem La-Prensa-Artikel vom 24.5.11 klar: „Trotz allem Anschein, dass die Reformen völlig offen für eine Abstimmung des Volkes zu jeglichem Thema seien, werden am Schluss die Parlamentsabgeordneten entscheiden, ob die Abstimmung stattfindet oder nicht.“ Bei der Anerkennung des FNPR schliesslich als politische Kraft muss sich noch weisen, was das konkret bedeutet. Letzten Februar beschloss die FNPR-Mehrheit, sich vorderhand nicht an Wahlen zu beteiligen, sondern auf eine Stärkung durch die gesellschaftlichen Kräfte zu setzen. Es wäre tatsächlich auch unsinnig, ohne Grundreformen erneut an die Urne zu pilgern, deren Ergebnis weggeputscht wird, falls es nicht passt. So haben dieser Tage kaum überraschend mehrere FNPR-ExponentInnen eine Wahlbeteiligung u.a. von Reformen im Wahlgesetz und im Wahltribunal abhängig gemacht.
Als zentraler Pluspunkt für die Putschkräfte steht eindeutig die unmittelbar bevorstehende Reaktivierung der OAS-Mitgliedschaft. Nach der Unterzeichnung des Abkommens von Cartagena sind der amtierende Präsident Lobo und Zelaya nach Managua weitergeflogen, wo sie sich mit den Präsidenten von Guatemala, El Salvador und Nicaragua trafen. Daniel Ortega gab die totale Normalisierung der diplomatischen Beziehungen mit Honduras bekannt. Sollte nicht in diesen Tagen eine „hirnrissige“ Torpedierung des Abkommens durch unzufriedene Putschkräfte erfolgen, wird der OAS-Beitritt Anfang Juni Tatsache werden – sehr zur bekundeten Freude der USA und der EU. Auch Venezuelas Hugo Chávez, der auf Einladung seines kolumbianischen Freundes Santos für das Abkommen Pate stand, unterstützt dies energisch. Einzig Ecuador erinnert sich in diesen Tagen des kontinentalen diplomatischen Wohlbefindens an einige „Details“. Der ecuadorianische Aussenminister Ricardo Patiño meinte, für die Wiederaufnahme der Mitgliedschaft sei es wichtig zu wissen, „was mit den Personen geschieht, die direkt für den Staatsstreich verantwortlich waren und die in vielen Fällen weiter in der [jetzigen] Regierung arbeiten“.
Die OAS-Normalisierung ist unabdingbar im Hinblick auf ein von der US-Botschaft gesponsertes Projekt, das am 4. und 5. Mai seinen Ausdruck in einem Grossanlass mit dem Titel „Honduras is open for business“ fand – so nannte sich der Treff der honduranischen Eliten mit angebliche hunderten potentiellen Investoren tatsächlich (Walmart, Siemens, BMW, Fiat, Microsoft, Samsung, Toyota, US-Bauunternehmen, Agromultis etc.)! Figuren wie Álvaro Uribe, Carlos Slim oder der US-Wachstumsökonom Paul Romer hatten ihren Auftritt (auch der CEO der Arab Bank Switzerland, Nasri Malhamé, figurierte interessanterweise als Star). Den Investoren wurden Projekte von Soja- und Palmölmonokulturen über Megaprojekte für Handel und Infrastruktur bis zu Tourismus vorgelegt. Strategische Achsen der gesamten Promotion: radikaler Ausverkauf ans Kapital (entsprechende Investitionsschutzgesetze), Public Private Partnerships, brutal deregulierter Arbeitsmarkt (www.hondurasisopenforbusiness.com). Es handelt sich dabei um eine Ergänzung zu dem Projekt der extraterritorialen Städte der Angst; sie sind beide von einem brutalen kapitalistischen Sturm und Drang geprägt. Diese „schöne neue Welt“ aber braucht den internationalen Segen der Normalität, also hier des OAS-Beitritts.
Das Abkommen von Cartagena entspricht mit Bestimmtheit nicht einem Wunschprogramm. Ob es sich als dynamisierendes Moment für den Kampf oder aber als Einfallstor für die sukzessive Spaltung der Widerstandsbewegung erweisen wird, wird sich zeigen. Erste Hinweise werden wir diesen Samstag erhalten: Wird Mel Zelaya etwa gar eine faktische Rückkehr zur liberalen Partei promovieren (unwahrscheinlich angesichts seiner bisher klaren Distanzierung dazu), oder zumindest Kurs auf Wahlen nehmen, oder aber wird er im Gegenteil funktional für eine Verbreiterung und Radikalisierung des Widerstandes? Wie werden die Compas des Frente mit der neuen Situation umgehen? Vergessen wir nicht, seit einiger Zeit war eine klare Differenzierung der Kräfte zu beobachten: eine Tendenz auf der Linie einer autonomen Stärkung via gesellschaftliche Kämpfe mit Blick auf eine „aufständische“ Lösung à la Tunesien, eine andere – mit Blick auf die Kräfteverhältnisse - eher für die Durchsetzung von Reformen auf dem Gebiet der Repression, der Gesetze, des Sozialen, um dann in eine Wahldynamik wie in El Salvador einzusteigen. Die Compas haben es verstanden, diese Differenzen nicht als Anlass zur Spaltung, sondern als Pole einer gemeinsamen Anstrengung. Hoffen wir, dass sie diese Weisheit auch in der neuen Situation pflegen!
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Das Morden geht weiter
Am 7. Mai wurde ein weiterer Campesino, Henry Roney Díaz, im Landkonflikt zwischen Grossgrundbesitz und Bauernkooperativen im Gebiet des Bajo Aguán bei einer versuchten Räumung durch staatliche Repressionskräfte ermordet und ein anderes Mitglied der Kooperative schwer verletzt. Am 10. Mai traf es Kooperativmitglied José Paulino Lemus Cruz, dessen Leiche danach von seinen KollegInnen gefunden wurde. Am 15. Mai waren Schüsse aus der Gegend zu hören, in der der Kooperativbauer Francisco Pascual López seine Kühe weidete. Es fanden sich Blutspuren, doch der Compañero bleibt verschwunden. Am 10. Mai wurde in Morazán im Department Yoro der Journalist Héctor Francisco Medina von den üblichen Unbekannten erschossen – er hatte sich im lokalen Fernsehsender kritisch mit der Praxis einiger Grossgrundbesitzer auseinandergesetzt. Am 20. Mai wurde der Besitzer eines lokalen Fernsehsenders in der Stadt Danlí, Luis Mendoza, von vier Männern auf offener Strasse in der Nähe seines Studios niedergeschossen