Venezuela: Im Fadenkreuz der Neocons

Montag, 16. Mai 2011


Ein Geheimdienstclub in London mit einer verbrecherischen Rolle beim Lostreten des Irakkrieges veröffentlicht einen Bericht über angebliche FARC-Intimitäten von Hugo Chávez und Rafael Correa. Ein Blog-Beitrag des britischen New Statesman thematisiert beunruhigende Parallelen.


(zas, 16.5.11) Der venezolanische Staatschef Hugo Chávez ist ein Terrorkomplize und sein ecuadorianischer Amtskollege Rafael Correa liess sich seine Präsidentschaftskampagne 2006 von den FARC mit $400'000 mitfinanzieren. Für solche Behauptungen stützte sich das kolumbianische Regime seit 2008 angeblich auf Emails in erbeuteten Datenträgern von FARC-Comandante Raúl Reyes. Jetzt liegt (für $40) ein Bericht des seit Jahrzehnten berüchtigten Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) vor, der genau solche Behauptungen wiederholt. Der kolumbianische Staat überliess dem Institut eine Kopie der angeblich erbeuteten Daten.

Nigel Inkster vom IISS teilte in einer Mitteilung vom 10. Mai 2011 mit: „Chávez verpflichtete sich [bei Treffen mit einer FARC-Delegation 2007] dazu, der Gruppe zu politischer Legitimität zu verhelfen, bekräftigte formell die Berechtigung der FARC, venezolanisches Gebiet an der Grenze mit Kolumbien zu benutzen und offerierte […]  den FARC $300 Mio.“ Inkster wusste auch: „Nach dem Putsch von 2002, der Chávez kurz von der Macht entfernt hatte, konnten die FARC das folgende Klima von Angst und Paranoia ausnutzen, um mehrere bewaffnete Gruppen, die zur Verteidigung der Bolivarischen Revolution vor einem zweiten Putsch oder gar einer US-Invasion entstanden waren, in Guerilla und Stadtkrieg auszubilden. Die FARC antworteten auch auf das Ersuchen des DISIP [venezolanischer Geheimdienst] nach der Erteilung von Trainingskursen in städtischem Terrorismus inklusive gezielter Morde und dem Gebrauch von Sprengstoff. Weiter bietet das Archiv quälende, wenn auch letztlich unbewiesene Hinweise darauf, dass die FARC auf Geheiss des venezolanischen Staates Morde an politischen Gegnern von Chávez begangen haben können“.

Nun, in Venezuela werden Linke Mordopfer von Rechten. So sind bisher über 250 Campesinos im Rahmen des Kampfes der Grossgrundbesitzer gegen die Landreform umgelegt worden. Tatsache ist etwa auch, dass kolumbianische Armeeeinheiten im Land operiert haben (Kolumbianisches Militär agierte in Venezuela) und die kolumbianischen Paramilitärs und ihre venezolanischen Schöpfungen seit Jahren und zunehmend ihren Terror zugunsten des venezolanischen Kapitals und seiner Rechtsparteien ausüben (Brennt Caracas?). So etwas lässt das IISS nicht zufällig ungerührt. Die Rolle des berüchtigten Instituts beleuchtet der Artikel Iraq “dodgy dossier” authors strike again von Francisco Dominguez, Leiter des Centre for Brazilian and Latin American Studies an der Middlesex University, auf der Blogseite des britischen New Stateman, im folgenden leicht gekürzt wiedergegeben.


Iraq „dodgy dossier“ authors strike again
 Francisco Dominquez

[…] Obwohl Interpol erklärt hatte, dass die Umgangsweise der kolumbianischen Behörden mit den Computerdaten „international anerkannten Prinzipien nicht entspreche“, und dass ihre forensische Untersuchung der Dateien nicht der Verifizierung der „Genauigkeit und Quelle der Benutzerdateien“ gegolten habe, hat das das IISS nicht daran gehindert, jede Menge von grell geschminkten Anschuldigungen zu machen.

Falls der Begriff IISS bei Ihnen einen Alarmreflex auslöst, hat das vielleicht mit seiner Rolle bei den Ereignissen zu tun, die zur Veröffentlichung des „dodgy dossier“ [fester Begriff für das zwielichte Irakkriegsdossier von Tony Blair] für die Rechtfertigung des Krieges gegen den Irak geführt haben. Die gleichen Leute und die gleiche Organisation scheinen nun ihre Aufmerksamkeit Lateinamerika zuzuwenden, was für den Kontinent besorgniserregend ist.

Connie Mack, republikanischer Kongressabgeordneter für Florida, hat als neuer Vorsitzender des Unterausschusses für die westliche Hemisphäre des Repräsentantenhauses gesagt, dass er die Aufnahme Venezuelas auf der State Department-Liste der staatlichen Sponsoren des Terrorismus betreiben werde. Seine Parteikollegin Ileana Ros-Lehtinen, Vorsitzende des Aussenpolitischen Ausschusses des US-Senats, unterstützte dieses Vorhaben.

Viele befürchten, das Timing des Berichts solle auch die im Gang befindliche Détente zwischen Venezuela und Kolumbien torpedieren. Der IISS-Report kann durchaus Teil einer Strategie sein, um eine neue feindselige Runde zwischen den Ländern zu provozieren.

Das IISS hat eine eigene Geschichte, was das Betreiben des Krieges im Irak betrifft. Das Institut hat Verbindungen zu manchen Neokonservativen. Zu Mitgliedern seiner Leitungs- und Beiratsorganen gehören Robert D. Blackwill, einer früherer stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater von George W. Bush; Dr. John Hillen, früherer Assistenzaussenminister für politisch-militärische Angelegenheiten in der Bush-Administration; Dr. Eliot Cohen, der ehemalige führende Berater für strategische Belange von Condoleezza Rice und Dr. Ariel Levite, eine früherer stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater. Aus Britannien sind dabei Sir David Manning, Botschafter in den USA und aussenpolitischer Berater von Tony Blair im Vorfeld des Irakkrieges uns Lord Powell of Bayswater, ein früherer vor dem aussenpolitischer Berater von Margareth Thatcher.
Die IISS-Rolle bei der Entstehung des zwielichten Irakdossiers ist klar. Im September 2002 lancierte es den Bericht Iraq's Weapons of Mass Destruction: a Net Assessment, der fadenscheinige Behauptungen über „die durch die irakischen Programme für die Entwicklung nuklearer, biologischer und chemischer Waffen und Raketensystemen gegebene Bedrohung“ machte. Wie Kim Sengupta im Independent erklärte: „Das am 9. September 2002 veröffentlichte IISS-Dossier zu den irakischen Vernichtungswaffen  wurde von Gary Samore, früher beim State Department, editiert und von Fr. John Chipman, einem früheren NATO Fellow, präsentiert. Die Bush- und Blair-Administrationen griffen das Dossier sofort als „Beweis“ auf, dass Saddam nur noch Monate für einen chemischen und biologischen, womöglich gar atomaren Angriff fehlten. Grosse Teile des IISS-Dokumentes wurden danach in dem jetzt notorischen, in der folgenden Woche publizierten Downing Street-Dossier rezykliert.“ 
Beunruhigenderweise ist John Chipman jetzt Generaldirektor beim IISS!

Ein Bindeglied zwischen den Autoren des „dodgy dossier“ zum Irak und seinem Gegenstück zu Lateinamerika ist Nigel Inkster, IISS-Direktor für transnationale Bedrohungen und politisches Risiko. Er supervisierte den „FARC files“-Report. Inkster war während der Vorbereitungen auf den Irakkrieg Vizedirektor des MI6 gewesen. Er war „Teil des Monitorteams für chemische und biologische Waffen gewesen, einschlich der irakischen Versuche, solches Material zu erlangen“. Unter seiner Vizeleitung war das MI6 funktional für die Entstehung des jetzt notorischen „dodgy dossier“ über die Massenvernichtungswaffen gewesen, das der britischen Öffentlichkeit den Irakkrieg verkaufen sollte.

Interessanterweise arbeitete Inkster in der dunklen Periode der 1970er und 1980er Jahre auch in Lateinamerika.

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Nachtrag ZAS:
Auffallend ist die „gemässigte“ Behandlung des IISS-Themas durch die kolumbianische Regimepresse, die vorderhand davon absieht, das Thema auszuschlachten. Nehmen wir El Tiempo, das zur spanischen Pro-PP-Mediengruppe Planeta gehört, aber vertraglich in seiner editorialen Ausrichtung weiter von seinen ehemaligen Besitzern, dem Santos-Clan, dem auch der jetzige Staatspräsident angehört, geleitet wird. Während etwa die NZZ am 10. Mai nicht anders konnte, als den IISS-Verdacht auf FARC-Finanzierung der 2006-Kampagne von Rafael Correa Reaktion gebührend hervorzuheben, lässt El Tiempo in einem Artikel vom gleichen Tag wenig Zweifel daran, dass diese Story falsch ist.

Zur „Beweiskraft“ der Files aus den angeblichen FARC-Computern s. auch unseren früheren Bericht Kolumbien: Bulle gesteht, „FARC-Beweise“ manipuliert zu haben.