New Orleans - vier Jahre später

Sonntag, 30. August 2009

(30.8.09) Als der Wirbelsturm Mitch im Oktober 1998 in Zentralamerika Tod und Verderben brachte, sahen wir zum ersten Mal am Wirken, was seither Katastrophenkapitalismus genannt wird: die Zerstörung – dieses Mal durch eine Naturkatastrophe – als Anlass für die gewaltsame Durchsetzung eines an Profitinteressen orientierten „modernisierten“ Gesellschaftsmodells. Wir haben es seither mehrmals mitbekommen: Während sich die Menschen noch auf den Bäumen vor den Fluten zu retten trachten oder in den Verschüttungen nach ihren Angehörigen suchen, hecken die Finanzminister der betroffenen Länder und die Teams des IWF aus, wie jetzt erst recht „Schulden“ zurückbezahlt und „rigide“ Gesellschaftsstrukturen zum Fliessen gebracht werden.

Vorgestern vor vier Jahren brachte der Wirbelsturm Katrina den Tod nach New Orleans. Es war der Süden im Norden. Dass die Menschen starben, entsprach keinem Naturgesetz, sondern politischen und wirtschaftlichen Entscheiden der Mächtigen. Man liess die Fluten eine mehrheitlich schwarze Unterklasse aus ihren von den Spekulanten längst ins Visier genommenen Wohngegenden „wegwaschen“ und verhindert seither erfolgreich die Rückkehr der meisten Überlebenden. „Louisiana. Louisiana - they’re trying to wash us away“, heisst es in einem alten Song aus dem Mississippi-Delta zu den Erfahrungen mit einer Überschwemmung von 1927.

Viele werden sich noch erinnern, wie wir fassungslos in den Fernseher starrten und die Appelle der Hungernden und Durstenden in den beiden grossen Notzentren sahen und hörten: „Save us!“ Viele überlebten diesen realen Horror nicht. Es kamen damals die Gruselstories von Gangterror im „Convention Center“ u.ä. hoch, von der Medieninternationalen noch und noch verbreitet – alles erfunden und erlogen, wie später bewiesen, aber kaum wo berichtet. Die TV-Teams berichteten live aus den Notzentren, zu denen der „Rettungsapparat“ der Regierung erst nach drei Tagen gelangte… schwer bewaffnet. Was, wenn es hoch kam, als „Unfähigkeit“ der Administration Bush kritisiert wurde, war in Wirklichkeit eine strategisch geplante Operation auf verschiednen Ebenen: Militarisierungsübung für „Katastrophenfälle“ und Epidemien; katastrophenkapitalistisches Nutzen des „window of opportunity“ für die „soziale Säuberung“ der renitenten Stadt; Implementierung der im Irak erprobten „private public partnership“ für den sozioökonomischen „Aufbau“, die Kriegsführung und auch die polizeiliche Repression – viele lead players aus dem Irak trafen sich in New Orleans wieder.

Das Kalkül ging auf. Mehr als die Hälfte der früheren schwarzen UnterklassenbewohnerInnen von New Orleans leben heute nicht mehr in der Stadt, im bekannt gewordenen Lower 9th Ward sind es gar vier Fünftel. Das Selbsthilfeprojekt Common Grounds ist polizeilich geräumt worden, die früheren grossen Sozialwohnungsprojekte gibt es meistens nicht mehr.

Hier einige Links zu New Orleans:

Four Years After Katrina, Thousands Are Homeless and Struggling In New Orleans
http://www.colorlines.com/printerfriendly.php?ID=591

Von Jordan Flaherty, dem Basisaktivisten und Gewerkschafter aus New Orleans. Wie in all seinen Berichten zu New Orleans seit Katrina spürt er auch in diesem gerade erschienen Artikel mit viel Liebe der gesellschaftlichen Realität der Unterklassen nach, in diesem Falle dem Schicksal der obdachlos Gemachten und jetzt von der Polizei Bedrängten.

Katrina, Four Years Later: Expert Fired Who Warned Levees Would Burst
http://crooksandliars.com/node/30758/print

Economic Hit Men and the Next Drowning of New Orleans
http://www.alternet.org/rights/142287/four_years_after_katrina,_thousands_are_homeless_and_struggling_in_new_orleans/
Beide Artikel sind vom bekannten investigative reporter Greg Palast, der einige wichtige Hintergrundrecherchen zu New Orleans gemacht hat.