Widerstand in den Barrios, nicht-letale Waffen
Mittwoch, 23. September 2009
Bild: Lärmwaffe im Einsatz vor der brasilianischen Botschaft, 22.9.09
(23.9.09) In diesen Stunden ist eine Grossdemo des Widerstandes in Tegucigalpa angesagt. Dies wohlverstanden bei Ausgangssperre, die das Regime nun am dritten Tag ohne Unterbruch über das Land verhängt (und seither unter Druck modifiziert) hat. Von der Demo wissen wir noch nichts – Radio Globo ist wieder einmal per Internet nicht zugreifbar und, leider zu befürchten, von den Gorillas abgeschaltet worden. Die Sendungen dieses Radios (http://radioglobohonduras.com/) gehen immer wieder unter die Haut. Heute Nacht etwa, zwischen drei und vier Uhr morgens (!!) in Honduras, die verzweifelten, hoffnungsvollen, religiösen, kämpferischen Anrufe von Männern und Frauen, die sich Leid und Wut von der Seele reden, praktische Verhaltenstipps verbreiten, Infos über lokalen Widerstand und Aufmarsch der Repressionskräfte vermitteln – hier ist der Herzschlag der Bewegung in Honduras spürbar, in dieser Mischung von Mitteilungsbedürfnis, Entsetzen, Aufschrei und Entschlossenheit der einfachen Leute. Menschen, die über sich hinaus wachsen, heroisch sind trotz aller Angst, den nächsten Schritt im Widerstand wagen, weil sie pueblo sind, kollektiv, Unterklasse, würdig. Wenn eine Frau beim Versuch, die Perfidie der Gorilettis zu beschreiben, in Tränen ausbricht, gehst du mit. Du ahnst, was dahinter steckt, wenn auffallend viele Anrufende ihr Schicksal Gott anvertrauen und sich, bis auf wenige Ausnahmen, doch nicht in passiver Ergebenheit verlieren. Du darfst an einer realen Diskussion teilnehmen, wenn dann andere Anrufende die Erfolge der Bewegung in den frühen Nachstunden erwähnen, wie die Repressionskräfte in diesem oder jenem Barrio auf Widerstand gestossen, vor dem Steinhagel an den Barrikaden zurückgewichen sind, während sie andernorts Terror verbreiteten. Durchs Band natürlich Unterklassenquartiere – wer im reichen Schlitten trotz Ausgangsperre unterwegs ist, wird an den Polizei- und Militärsperren höflich durchgewunken, wie Bilder von Canal 36 zeigten.
Die Ausgangssperre: Offenbar hat Putschgeneral Romeo Vásquez von einer „Strategie des Bauchs“ gesprochen, ähnlich wie er sie zum Monatswechsel Juli/August in der Grenzregion Paraiso verfolgte, als Mel Zelaya von Nicaragua her die Grenze überschreiten wollte. Ihr Begriff ist: Aushungern. Aushungern der Bevölkerung, Spaltungen provozieren, aktive Kerne aufreiben. Ohne jede Vorwarnung landesweit eine seit drei Tagen ununterbrochene Ausgangssperre zu verhängen, bedingt eine perverse, wenn auch durchdachte Brutalität.
Allerdings scheint die Rechnung nicht so ganz aufzugehen: So haben nach Angaben des Widerstands-Journalisten Esteban Meléndez von gestern (Dienstag) Nacht BewohnerInnen von Armutsquartieren angefangen, Supermärkte und Läden von Putschisten zu plündern. Dies ergänzt die Nachrichten, wonach gestern Abend in den Hauptstadtquartieren Divanna, Torocagua, Hato de en medio, San Francisco, Kennedy, Calpules, Las Vegas, El Pedregal, Cerro Grande, Centro América Oeste, Picachito, Los Jucos, Morazán und vielen anderen zu aufstandsähnlichen Szenen gekommen ist – Barrikaden, Strassenorganisation, Steine. Aus San Pedro ist zu hören, dass da in einigen besonders „harten“ Stadtteilen wie Suncery und Cabañas die jungen Leute mit Hieb- und Stichwaffen auf die Repressionskräfte losgegangen seien. Für Tegucigalpa sagt Meléndez, dass die Sicherheitskräfte trotz Schusswaffeneinsatz mancherorts das Feld hätten räumen müssen. An einer grossen Umfahrungsstrasse um Tegucigalpa wurden bei Villa Nueva Barrikaden errichtet und dank massenhafter Gegenwehr der Leute gegen die Sicherheitskräfte verteidigt. Auch von anderen Städten ist von widerstand zu hören; zudem gibt/gab es eine beträchtliche Mobilisierung vom Land in die Hauptstadt.
Wie gerade bekannt wurde, suspendiert das Regime die Ausgangssperre für heute von 10 am bis 16 pm. Einige sehen das als Erfolg der Kämpfe.
Die Parole des Frente de resistencia ist, neben den Grossmobilisierungen vor allem die Stadtteil- und Strassenorganisierung.
Zu der Räumung der Leute vor der brasilianischen Botschaft gestern morgen sagen viele ZeugInnen, dass dabei ein noch unbekanntes Gas, weder Senf- noch Tränengas, eingesetzt worden sei. Zudem sollen die Militärs und Polizisten mit der Zeit scharf geschossen haben. Es gibt eine Reihe von Angaben, wonach dabei auch sogenannte nicht-letale Waffen zum Einsatz gekommen seien. Unter anderem ein Gerät (s. Abbildung), das Gehörschäden und Verlust des Gleichgewichts bewirke. Das Bild wurde offenbar gestern aufgenommen. Andere Informationen reden von einer Mikrowellen-Waffe des US-Herstellers Raytheon und einer auf Distanz wirksamen Geräsuchwaffe, der israelischen LRAD. Von Mikrowellenwaffen spricht man in einer etwas breiteren Öffentlichkeit seit einem sowjetischen Angriff auf die US-Botschaft in den 70er Jahren mit solchen Mitteln. Mikrowellen scheinen Tumore, Immunschwäche, Amnesie, Demenz, depressive Symptome, Paranoia und anderes zu bewirken. Die Ultraschallwaffe der Israeli, als Screamer im Einsatz gegen palästinensische DemonstrantInnen berüchtigt geworden, provoziert Konvulsionen, Übelkeit, entsetzliches Kopfweh, Panik – auf mehrere hundert Meter Distanz. Der ursprüngliche salvadorianische Priester Tamayo, in Honduras eine Art Volksheld wegen seines Widerstands früher gegen zerstörerische Minenprojekte und jetzt gegen den Putsch, hat seinerseits, einer Email aus dem Widerstand zufolge, von „chemischen Bomben“ gesprochen, welche die Militärs aus einem benachbarten Gebäude auf das Gelände der brasilianischen Botschaft geworfen hätten und die Kopf-, Hals- und Magenschmerzen bewirkten.
Es ist sicher zu früh, diese Infos als gesichert anzuschauen. Andererseits ist es hundertprozentig falsch, sie von vornherein als dumme Gerüchte abzutun. Wie schon der Einsatz der Lärmwaffe gegen die Botschaft an die Vorkommnisse 1990 bei der US-Invasion von Panama erinnerte, tun es auch diese Hinweise. Damals hatte die zentralamerikanische Menschenrechtsorganisation CODEHUCA eine Reihe von fällen von Leichen dokumentiert, die wie geschrumpft und „getrocknet“ aussahen. Laut Zeugenaussagen waren die Opfer jeweils in der Nähe eines Phänomens gestorben, das wie ein Laserstrahl aussah und zu dem die Vermutung hochkam, es könnte sich um eine experimentelle Mikrowellenwaffe gehandelt haben. Die CODEHUCA-Dokumentation wurde nie beachtet.
In der UNO-Vollversammlung hat der brasilianische Staatspräsident Lula die Putschisten in scharfen Worten davor gewarnt, die Botschaft zu stürmen. Tatsächlich haben sie jetzt die Wasser-, Strom- und Essensversorgung für die Botschaft wieder zugelassen.
WICHTIG: VIELE DER GESTERN GEFANGEN GENOMMENEN BEFINDEN SICH WIEDER AUF FREIEM FUSS. VIELE VON IHNEN WURDEN IN DER GEFANGENSCHAFT MISSHANDELT.