(22.9.09) Das Putschregime scheint vorzuhaben, mit allen Mitteln zu verhindern, dass die brasilianische Botschaft, in der sich der klandestin ins Land zurückgekehrte Präsident Mel Zelaya aufhält, zum Zentrum der Mobilisierungen entwickelt. Es hatte gestern Nachmittag um 15h30 Ortszeit (23h30 MEZ) eine ab 16 h in Kraft tretende Ausgangsperre bis heute morgen über das Land verhängt, was laut Medienberichten zu chaotischen Zuständen geführt hat. Die Putschisten verlängerten heute die Ausgangssperre übergangslos bis in den Abend hinein - vorderhand. Gleichzeitig verfügte der Putschistenpräsident Micheletti die Schliessung der internationalen Flughäfen für heute, den 22. September. Heute früh aber, berichtet El Tiempo, seien in zahlreichen Quartieren der Hauptstadt die Leute Lebensmittel einkaufen gegangen und viele kleine Märkte wären geöffnet gewesen.
In Tegucigalpa, aber zumindest auch in San Pedro Sula, haben über die Nacht Tausende die Ausgangsperre missachtet. In der Hauptstadt besammelten sie sich um die brasilianische Botschaft, in deren Inneren sich nicht nur Mitglieder der Botschaft und der Präsidentenfamilie, sondern auch Dutzende, nach einigen Quellen, hunderte von Mitgliedern der legitimen Regierung und der Widerstandsbewegung aufhalten. Heute früh um 4 h Ortszeit begannen zahlreiche Spezialeinheiten der Polizei und offenbar auch Armeeangehörige, die Menschen mit Wasserwerfern und Tränengas zu vertreiben. Es ist offenbar zu wüsten Verfolgungsszenen erst im Botschaftsquartier Palmira, tagsüber auch in anderen Stadtteilen bis in die Häuser hinein gekommen, in die sich die Leute flüchteten. Nach allerdings unbestätigten Angaben sollen dabei zwei Menschen getötet worden sein, einer davon, so Via Campesina-Sprecher Rafael Alegría, Mitglied der Gewerkschaft des Nationalen Agrarinstituts. Die Räumlichkeiten der Menschrechtsorganisation COFADEH wurden mit Tränengas angegriffen, dabei wurden auch Leute aus dem Innern abgegriffen. Das unabhängige Radio Globo und der oppositionelle TV-Kanal 36 wurden abgestellt. Auch in San Pedro Sula kam es zu wüsten Angriffen auf die Protestierenden. Zwar behauptet das Regime, es habe keine Verhafteten und keine Verletzten gegeben. Doch El Tiempo zitiert einen Notfallarzt des Hospital Escuela in Tegucigalpa, wonach dort im Laufe des Vormittags 103 Verletzte behandelt worden seien - niemand mit Schussverletzungen. 20 davon seien bei einer Räumungsaktion im Quartier Morazán zusammengeschlagen worden. Hierher waren Flüchtende von der Botschaft gelangt. Viele QuartiersbewohnerInnen errichteten Barrikaden.
Jetzt ist die Gegend um die brasilianische Botschaft militarisiert. Wasser, Strom und Telefon der Botschaft sind abgestellt. Laut La Prensa sucht die nahe gelegene US-Botschaft nach Wegen, ihren brasilianischen KollegInnen zu helfen. (Gestern hatten US-Aussenministerin Hillary Clinton und der costaricanische Präsident Oscar Arias in New York die Rückkehr Zelayas positiv bewertet. Clinton hielt es unter diesen neuen Umständen für „opportun, ihn [Zelaya] unter angemessenen Umständen in seine Position zurückzurufen“ und Arias hielt den Moment für „die beste Gelegenheit …, um das Abkommen von San José [den Clinton/Arias-Plan] zu unterzeichnen“ (http://www.state.gov/secretary/rm/2009a/09/129448.htm). State-Department-Sprecher Ian Kelly betonte heute in einer Erklärung die „Wichtigkeit, die Unverletzlichkeit der brasilianischen Botschaft und der Individuen auf ihrem Gelände zu respektieren“. Die Armee installierte Lautsprechanlagen vor der Botschaft um, wie Zelaya dies in CNN USA sagte, „ohrenbetäubende Töne“ zu verbreiten, „um zu versuchen, die Leute, die drinnen sind, wahnsinnig zu machen“ (AFP, 22.9.09, in El Tiempo). Ein Vorgehen, das sie den US-Soldiers abgeguckt haben, die 1990 so den in die Nuntiatur geflüchteten panamaischen Diktator Noriega zur Aufgabe zwangen.
Das militante Putschistenblatt La Prensa zitiert den De-facto-Verteidigungsminister Alfredo Lionell Sevilla aus einem Interview mit Radio HRN: „…falls die die Unordnung seitens der Demonstranten anhält, könnte der Belagerungszustand ausgerufen werden“.
In der Bewegung kursiert das Gerücht, dass die Armee die brasilianische Botschaft stürmen wolle. Das scheint aber angesichts der mit einer solchen Aktion verbundenen, nicht absehbaren internationalen Brisanz kaum wahrscheinlich. Man darf die Angst, die aus vielen Mails der Leute dort spricht, nicht unterschätzen. Umgekehrt ist aber auch eine Entschlossenheit zu spüren, sich jetzt nicht unterkriegen zu lassen. Die Rückkehr Mels ist galvanisierend. Die Reaktion des offenbar völlig unvorbereiteten Regimes lässt eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Entweder sind die Gorilettis entschlossen, die Widerstandsbewegung mit Massakern auszuschalten, oder aber sie verlieren die Nerven. Es kursiert auch die Einschätzung, dass die Haltung der Administration Obama gegen den Putsch – real gegen die Weigerung der Putschisten, zum richtigen Zeitpunkt abzutreten – in der Armee viel Verunsicherung ausgelöst habe. Viele Offiziere könnten sich eine Zukunft mit Mel als Präsident vorstellen, was wiederum die Topführung nervös mache. Zelaya selbst gibt den Gorilettis nur noch wenige Tage an der Macht. Falls die Mobilisierungen den inneren Druck aufrechterhalten, dürfte auch jener aus dem Ausland nicht nachlassen. Für morgen Mittwoch hat der Frente de resistencia zu einer Grossdemo am Morgen aufgerufen; auch heute schon scheint es in vielen Städten und auf dem Land zu Protesten gekommen zu sein. Eine Reihe internationaler PolitikerInnen, Zapatero, Insulza, Clinton, die EU, viele lateinamerikanische Staatschefs und andere fordern die Gorilettis dazu auf, die „Gunst der Stunde“, also die physische Anwesenheit Zelayas, für direkte Verhandlungen zu nutzen. Lange dürfte das Regime dem nicht standhalten. Auch wortreiche Finten, die zu erwarten sind, dürften den Gang nach Canossa nicht verhindern. Der „Enthusiasmus“ von Clinton und Co. für die mit der Rückkehr Zelayas verbundenen Chancen könnte auch mit der Einschätzung zusammenhängen, dass ihnen bald die Felle des Arias-Plans davon schwimmen können, also ein figurativer Präsident Zelaya unter einer halb-putschistischen Regierung der nationalen Einheit. Immerhin hat Zelaya selber schon gemeint, der Plan Arias bedürfe einiger Verbesserungen. Interessant auch, dass der Präsidentschaftskandidat Pepe Lobo von der putschistischen Nationalen Partei, ein rechtsextremer Opportunist, heute zum Besten gab, wenn Micheletti nicht ernsthaft verhandle, werde seine Partei sich von ihm abwenden. Der ehemalige Präsident Flores Facussé, einer der starken Männer des Landes und des Putsches, hatte als einer der ersten Zelaya in der Botschaft angerufen und seine Dienste für einen Dialog zur Verfügung gestellt.
Einiges spricht also für einen positiven Ausgang der extrem angespannten und gefährlichen Lage. Es sei denn, die PutschistInnen fühlen sich stark genug für ein Blutbad. Das hängt weniger vom Gemütszustand eines Michelettis oder auch des Armeechefs Romeo Vásquez ab. Möglich, dass diese Typen alle Überlegungen in den Wind schlagen und mit ihrem verletzten Machostolz die Gesellschaft im Blut ertränken wollen. Doch ohne den militärisch-wirtschaftlichen Machtapparat auf ihrer Seite werden sie damit nicht weit kommen.