Honduras: Einigung in Sicht oder Fata Morgana?

Samstag, 31. Oktober 2009

I. Erste Infos
II. Kommuniqué der Widerstandsfront
III. Eine Einschätzung aus Honduras


I. Eingung – erste Infos

(zas, 30.10.09) Gestern Nacht (Ortszeit) trat der Putschistenpräsident Micheletti vor die Kameras und verlas ein Kommuniqué, in dem sein Regime darin einwilligt, dem Kongress vorzuschlagen, nach „vorgängiger Meinung des Obersten Gerichts“ zu entscheiden, die „ganze Exekutivgewalt unserer Nation auf den Stand von vor dem 28. Juni 2009 zurückzusetzen“ (Communiqué in El Tiempo online, 30.10.09). Das war der Punkt, an dem vor einer Woche die Verhandlungen gescheitert waren. Die Gorilettis hatten auf einem Entscheid des Obersten Gerichts beharrt.

Letzten Mittwoch aber kam eine hochrangige Dreierdelegation der Administration Obama nach Tegucigalpa (Tom Shannon, Lateinamerikachef im State Department, Dan Restrepo, in gleicher Funktion im National Security Council, und Craig Kelly, Vize von Shannon). Ihre Mission: Zelaya, entkleidet realer Macht, ins Präsidentenamt zurückzuhieven, um die Wahlen von Ende November international zu legitimieren (s. Honduras: Welche Perspektiven?). Es dauerte einen Tag und die sich zuvor so unnachgiebig gebende De-facto-Regierung willigte ein. Ein netter Kommentar natürlich zur wilden Entschlossenheit Washingtons in den letzten vier Putschmonaten, eine Rückkehr zur Verfassungsmässigkeit in Honduras voranzutreiben. In ihrem Kommuniqué hält die De-facto-Regierung folgende Punkte fest:

1. Schaffung einer „Versöhnungsregierung“
2. Keine Amnestie.
3. Anerkennung der Präsidentschaftswahlen vom 29. November.
4. Unterordnung der Streitkräfte unter Wahlgericht.
5. Schaffung einer „Verifizierungskommission“ für die Umsetzung der Abkommen.
6. „Schaffung einer Wahrheitskommission, um die Vorfälle vor, während und nach dem 28. Juni zu untersuchen, die Herrn Zelaya (Manuel) von seinem Amt als Präsident getrennt haben“ (sic!).
7. Bitte ans Ausland um Aufhebung aller Sanktionen und Beobachtung der Wahlen.

Und eben „das umstrittenste Thema der Abkommen, die mögliche Wiedereinsetzung von Herrn Zelaya in die Präsidentschaft“ über den anfangs dargestellten Mechanismus.

Das Kommuniqué gibt die ausgehandelten Inhalte wieder. Manuel Zelaya erklärte das Abkommen für „befriedigend“. Zur Frage, warum die Parlamentsmehrheit, die ihn abgesetzt hat, nun für ihn stimmen soll, meint er: „Die Abgeordneten engagieren sich nicht für mich, sondern für die Wahlen, das Volk und die internationale Gemeinschaft, die die Wiedereinsetzung verlangt“ (El Tiempo, 30.10.09: Manuel Zelaya: El acuerdo es satisfactorio). Im Kern also: Sie haben im Fall einer Negativabstimmung US-Prügel zu gewärtigen und sabotieren die Anerkennung just jener Wahlen, die sie als Ausweg sehen.

Das klingt logisch. Was die „vorgängige Meinungseinholung“ beim Obersten Gericht betrifft, sagt Zelaya, es sei für den Kongress „optional, sie zu verlangen, da sich das Oberste Gericht sich schon geäussert hat und uns dies nicht aus dem Kontext dessen löst, was der Kongress tun muss“ (id.). Ob das der Kongress ebenfalls als „optional“ betrachtet, scheint allerdings eine andere Sache zu sein. So weit bekannt, werden weder dem Parlament noch dem Gericht Deadlines gesetzt. Bringt man diesen Aspekt mit Äusserungen führender ParlamentarierInnen zusammen, scheint ein Szenarium einer weiteren Zeitschinderei (über mehr als nur zwei, drei Tage) denkbar.

Der liberale Parlamentspräsident José Alfredo Saavedra meinte heute früh sagen zu müssen, eine Anhörung des Obersten Gerichts sei konstitutionell zwingend. Erst einmal müsse das Abkommensdokument im Parlamentssekretariat eintrudeln, danach werde er „die Parlamentsleitung und die Fraktionschefs zusammenrufen“, um sich den Abkommensinhalt anzueignen und danach nehme das Verfahren seinen weiteren Gang. „In diesem Moment kann niemand, absolut niemand, dem Kongress Limiten oder Termini vorschreiben“ (El Heraldo, 30.10.09. Saavedra: Congreso actuará en base a ley). Bloomberg zitiert die Putscholigarchin und Parlaments-Vizepräsidentin Marcia Facusse de Villeda mit dieser Aussage: „Zelaya wird nicht wieder eingesetzt – ich glaube das nicht… Aber nur schon mit der Unterschrift unter das Abkommen haben wir die Anerkennung der internationalen Gemeinschaft für die Wahlen“ (Bloomberg, Blake Schmid, 30.10.09. Honduran Congress to Have Final Say on Zelaya Return).

Das Kalkül solcher Figuren scheint klar. Zeitgewinn. Zelaya vielleicht einen Tag vor, vielleicht einen Tag nach den Wahlen oder überhaupt nicht in die Casa Presidencial zurücklassen. Die Bewegung weiter reprimieren und in der Zwischenzeit den Wahlbetrug abwickeln. Interessant ist eine Aussage von Tom Shannon von heute: Das Thema der Wiedereinsetzung im Amt „wird am meisten provozieren und unserer Aufmerksamkeit bedürfen Die Umsetzung dieses Abkommens wird kompliziert sein“ (AFP in El Tiempo, 30.10.09. La implementación de este acuerdo va a ser complicada: Thomas Shannon). Klingt nicht gerade so, als sei Washington wild entschlossen, Zelaya schon morgen in der Casa Presidencial zu sehen.

Bis zur Stunde ist auch noch keine Unterschrift unter das Abkommen offiziell mitgeteilt worden. Es ist möglich, dass auch die Obama-Administration weiter auf Konfusion und Hinhaltetaktiken setzt oder diese toleriert. Andererseits dürfte das trotzige Mütchen der Parlamentschefetage sehr schnell unterkühlt werden, sollte man in Washington den Eindruck erhalten, mit einem Restitutionsabkommen ohne Restitution etwas gar wenig überzeugend dazustehen. Schliesslich sollen die Wahlen Ende Novemebr nicht die „Krise“ verlängern, sondern sie beenden.



II. Nationale Widerstandsfront gegen den Staatsstreich

Kommuniqué 32



Die Nationale Widerstandsfront gegen den Staatsstreich
Teilt der honduranischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft angesichts der unmittelbar bevorstehenden Unterzeichnung des zwischen der den legitimen Präsidenten Manuel Zelaya Rosales vertretenden Kommission und der Vertretung des De-facto-Regimes ausgehandelten Abkommens Folgendes mit:

1. Wir feiern die baldige Wiedereinsetzung im Amt von Präsident Manuel Zelaya Rosales als Volkssieg über die kleinlichen Interessen der putschistischen Oligarchie. Dieser Sieg wurde mit mehr als vier Monaten Kampf und Aufopferung des Volkes erreicht. Das Volk verstand es, trotz der entfesselten Repression durch die staatlichen Repressionsorgane in den Händen der herrschenden Klasse, Widerstand zu leisten und in Bewusstsein und Organisation solange zu wachsen, bis es sich in eine unbezähmbare soziale Kraft verwandelt hat.
2. Die Unterschrift der Diktatur unter das Dokument, in dem davon die Rede ist, „die Inhaberschaft der Exekutivgewalt auf ihren Stand vor dem 28. Juni zurückzuversetzen“, stellt eine explizite Anerkennung dessen dar, dass es in Honduras einen Putsch gegeben hat, der demontiert werden muss, um zur institutionellen Ordnung zurückzukehren und einen demokratischen Rahmen zu garantieren, in dem das Volk sein Recht zur Geltung bringen kann, die Gesellschaft zu verändern.
3. wir verlangen, dass die Abkommen, die am Verhandlungstisch unterzeichnet werden, unverzüglich dem Parlament vorgelegt werden. In diesem Sinn rufen wir alle Compañeros und Compañeras landesweit dazu auf, sich den Aktionen anzuschliessen, die Druck ausüben, damit das am Verhandlungstisch auszuarbeitende Schlussdokument unverzüglich umgesetzt werde.
4. Wir unterstreichen, dass die Nationale Verfassungsgebende Versammlung eine unverzichtbare Aspiration des honduranischen Volkes und ein nicht verhandelbares Recht darstellt, für das wir auf den Strassen bis zur Neugründung der Gesellschaft weiterkämpfen. Damit es eine gerechte, egalitäre und tatsächlich demokratische Gesellschaft werde.


„Nach 125 Tages des Kampfes gibt hier niemand auf“
Tegucigalpa, 30. Oktober 2009


III. Honduras: Ein Sieg des Volkes – der Kampf wird intensiver!

Ricardo Salgado

(30.10.09) Denjenigen, die gesagt haben, der Präsident erhalte anfangs November sein Amt zurück, um die Wahlen zu legitimieren, und zwar in Hand- und Fussfesseln, gelang es, vor vielen Wochen das Finale zu beschreiben, dem wir jetzt beiwohnen. Aber es muss klar sein: Es handelt sich nicht um das Ende des Putsches. Der geht weiter, seine Ziele haben Geltung; die Bedingungen, die ihn hervorbrachten, sind genau wie vor dem 28. Juni in Kraft.

Das von der Gringodiplomatie erzwungene Abkommen beinhaltet keine kritische Themen, sondern versucht vielmehr, Grundfragen zu ignorieren und den Interessen der Oligarchie Vorrang zu geben. Mit seiner Rückkehr ins Amt firmierte Präsident Zelaya etwas, das man als Sieg des Putsches und der Putschisten interpretieren kann.

Im Detail steckt der Teufel; noch steht eine Kalendarisierung der Handlungen aus, die Zelaya in die Casa Presidencial zurückführen sollen. Technisch kann der konstitutionelle Präsident noch mehrere Tage in der brasilianischen Botschaft gefangen bleiben, da es der Nationalkongress ist, der über das Schicksal des Landes entscheiden muss. Derselbe Kongress, der die Unterschrift des Präsidenten gefälscht und seine Absetzung verfügt hat. Was für ein Abkommen, in dem der Dieb über die Gerechtigkeit für das Opfer entscheidet! Das Oberste Gericht, das die Verhaftung und Deportation von Manuel Zelaya angeordnet hat, muss eine juristische Empfehlung an den Kongress abgeben. Was für eine Lösung!

Mehrere Kommissionen sollen gebildet werden: für das Follow-up, die Wahrheit und wer weiss was noch. In diesem Gewirr gewinnt die Oligarchie die Anerkennung der betrügerischen Wahlen. Jetzt wird Zelaya seine Kräfte dafür einsetzen, dass sich die Porten für die Hilfe für die eh schon gebeutelte honduranische Wirtschaft öffnen.

Letztlich gibt es keine Garantien dafür, was geschehen wird, noch wann oder wie. Wie während all dieser tragischer Monate wird die Ungewissheit das Szenarium bestimmen. Gestern wurde, im Kontrast zum Geschehen am Verhandlungstisch, der Widerstand brutal unterdrückt. Trotz aller Bewilligungen entschieden Armee und Polizei, der Volksbewegung eine weitere Dosis Prügel, Gas und Schüsse zu geben, als Erinnerung daran, dass die Abkommen die Repression nicht beseitigen. Sie beseitigen nicht die paramilitärischen Gruppen, nicht die selektiven Morde und auch nicht die Verletzungen der Menschenrechte.

Es wäre sehr naiv zu denken, wir hätten etwas gelöst. Die Militärs nehmen gegenüber den Politikern eine sehr autonome Position ein und gehorchen nur ihren Unternehmerherren. Auch die von Micheletti unterzeichneten repressiven Dekrete bleiben in Kraft. Die Struktur für die Verletzung der Menschenrechte bleibt weiter aktiv gegen das honduranische Volk.

Zumindest bis zum Zeitpunkt, wo ich diese Zeilen schreibe, sieht es danach aus, dass die Verhandlung das enorme Gefängnis vergessen hat, das das De-facto-Regime geschaffen hat. Und es lohnt sich zu fragen, was jetzt mit Präsident Zelaya geschieht: Wird er die gleiche Ehrengarde behalten? Welche Beziehung wird er mit der Armee haben? Und mit dem Kongress von Micheletti?

Andererseits bleibt die Angelegenheit der von den Militärs unter Komplizenschaft des De-facto-Regimes und der kriminellen Oligarchie begangenen Verbrechen gegen die Menschheit weiter pendent. Zum Glück für das honduranische haben die Putschisten, aus Hochmut oder Borniertheit, das Thema der Amnestie ausgelassen, die ihnen Oscar Arias in seinem ursprünglichen Plan geschenkt hat.

Die Volksbewegung steht vor sehr wichtigen Fragen. Den Putsch ausgelöst haben die gerechten Forderungen des honduranischen Volkes. Darauf haben die herrschenden Klassen keine Antwort gegeben, sie haben allenfalls Zeit gewonnen, um den Veränderungsprozess in Honduras zu verzögern.

Was geschieht mit dem Wahlprozess? Es gibt einen Wahlbetrug, der auch nicht in die Verhandlung einbezogen ist. Aber es wird jetzt einen grossen Druck geben, dass die fortschrittlichen Kandidaturen an diesem Prozess teilnehmen. Dieses delikate Thema erfordert eine präzise Analyse. Andererseits kann, unabhängig von den Ergebnissen, die Teilnahme an diesem Prozess ermöglichen, dass die Volksmobilisierung weitergeht.

Jetzt muss unsere Vision längerfristig angelegt sein. Die politische Situation bringt neue Herausforderungen und die EINHEIT wird jetzt zu einem kritischen Muss. Nicht für Wahlziele; die Konjunktur verpflichtet jetzt dazu, dem Volk Antworten zu geben, Antworten, die auch beinhalten, unseren Leuten ihren politischen Raum zu geben.

Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass das Handeln des Widerstandes entscheidend dafür war, dass die dunklen Kräfte der Rechten gezwungen wurden, Positionen zu verhandeln. Ohne Volksbewegung wäre diese Lösung unnötig gewesen.

Der Protagonismus, den sich das Volk dieses Landes erkämpft hat, war das zentrale Element, um zu ermöglichen, was in Lateinamerika kaum geläufig ist: Ein gestürzter Präsident wird in seine Stellung zurückgebracht.

Dies ist ein Volkssieg, aber es ist nur ein Triumph auf einem Weg mit viel Leiden und Verzweiflung, zu denen es auf der Suche nach einem neuen Land, in dem wir alle in Frieden leben können, unweigerlich kommen wird. Die Oligarchie und das Imperium haben gezeigt, dass sie uns nichts schenken werden. Wenn wir unsere Freiheit erringen wollen, müssen wir für sie kämpfen.

Solcherart bleiben die Parolen. Heute feiern wir, aber wir bleiben wachsam. Allenfalls ist der Kampf heute intensiver denn je. Heute, wo aus den Schatten wieder viele Verräter auftauchen werden, heute müssen wir uns intensiver denn je unserer Märtyrer erinnern, denen wir die Eroberung eines Traumes verdanken: die Unabhängigkeit von Honduras.

Halten wir fest: Der Kampf beginnt hier. Begehen wir nicht den Fehler, das für unsere Ziele zu halten.

Für die Mörder weder Vergessen noch Vergebung!