Vorbemerkung ZAS:
Rundreise und Demo am 21. November in Bern
(ZAS) Betty Matamoros von der Auslandskommission der Widerstandsfront gegen den Staatsstreich in Honduras besuchte im Rahmen einer Europarundreise anfangs Oktober auch die Schweiz. Bei der vom ZAS mitorganisierten Tournee gab es öffentliche Veranstaltungen in Lausanne, Genf, Bern und Zürich, Treffen mit dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf und dem EDA und der DEZA in Bern sowie eine Reihe von Pressekontakten (Schweizer und internationale, bei der UNO akkreditierte Medien). (Der UNO-Menschenrechtsrat hat übrigens gestern die Entsendung einer Untersuchungskommission nach Honduras für morgen Sonntag angekündigt.) Für den 29. November sind in Honduras allgemeine Wahlen angesagt. Die noch laufenden Verhandlungen zwischen VertreterInnen der rechtmässigen Regierung und des Putschregimes in Tegucigalpa drohen zu scheitern. Ein wichtiges Ziel der Rundreise bestand darin, einer allfälligen internationalen, „schleichenden“ Anerkennung einer unter Putschbedingungen gewählten zukünftigen Regierung entgegenzuwirken. Die offizielle Position der Schweiz besteht darin, keine Beziehungen zum Putschregime zu unterhalten. Unklar aber bleibt, wie sich die Schweiz nach den Novemberwahlen positioniert. Im Gespräch mit Betty Matamoros machte das EDA die diesbezügliche künftige Haltung von jener der „internationalen Gemeinschaft“ abhängig, also primär von Washington und nicht etwa von jener der legitimen Regierung.
Umso mehr bereiten wir uns zusammen mit einer Reihe von anderen Organisationen in der Schweiz (lateinamerikanischer und schweizerischer Herkunft) deshalb auf eine nationale Demonstration in Bern am 21. November um 13h30 vor. Die Demo solidarisiert sich mit dem Widerstand in Honduras und verlangt von Bern, die Fortsetzung des Putschregimes nicht durch die Hintertür anzuerkennen. Sie findet statt unter der noch nicht gesicherten Voraussetzung, dass sich das Putschregime einer Verhandlungslösung weiter verweigert und die Wahlen in eigener Regie organisiert. Details werden noch über die linken Medien bekannt gegeben, s. auch http://zas-corres.blogspot.com.
„Unter Waffendrohung kann man nicht wählen“
Ein wenig mehr als hundert Tage nach dem Staatsstreich gegen die Regierung von Manuel „Mel“ Zelaya Rosales ist Honduras noch immer einer stürmischen internen Dynamik ausgesetzt. Die Repression wird auf-rechterhalten, solange der gewaltfreie Widerstand fortgesetzt wird. Die internationale Gemeinschaft hat sich bisher wiederholt für die Wiedereinsetzung des abgesetzten Präsidenten ausgesprochen, obwohl sie zweideutige Haltungen bezüglich einer Lösung der Krise und den von den Putschisten auf Ende November angesetzten Wahlen einnimmt.
Sergio Ferrari interviewt Betty Matamoros*
Welches ist das Hauptziel Ihres Besuchs in Europa?
Die Widerstandsfront gegen den Staatsstreich ist wegen des internen Drucks, dem wir ausgesetzt sind, aus-gehend von der enormen Repression der Armee, sehr beunruhigt. Niemand garantiert für unsere Sicherheit. Weder ein Gericht noch ein Ministerium hält die Repression auf. Und wir konnten die mediale Marginalisie-rung, der wir während der ganzen Zeit ausgesetzt waren, nicht durchbrechen. Die zwingt uns, ausser Lande zu gehen. Der Widerstand wird im Inneren fortgesetzt, jedoch brauchen wir eine internationale Unterstüt-zung. Ohne diese Unterstützung, ohne offene Augen und ohne offene Ohren, werden wir diesen Putsch, der verheerend für das Volk ist, nicht brechen können.
Was geschieht heute im Land?
Es ist beeindruckend, je mehr Repression gegen das Volk ausgeübt wird, desto mehr stärkt sich der Wider-stand.
Ausgehend von der Beharrlichkeit des Widerstandes ist ein gewisser Erfolg spürbar?
Der Putsch bröckelt gegenüber dem gewaltlosen Widerstand. Sie würden sich gewaltsame Antworten wün-schen, um noch mehr Gewalt ihrerseits rechtfertigen zu können. Dies gelingt ihnen nicht. Niemand aner-kennt die Rechtsstaatlichkeit der Regierung von Roberto Micheletti. Andererseits tritt die Armee nicht mehr so martialisch auf wie noch vor einiger Zeit. Sie spürt, dass sie den gewaltlosen Widerstand nicht brechen konnte. Das Volk erteilt ihnen eine gewaltige Lehre: Es will Veränderungen, die mit ihren Forderungen und Bedürfnissen übereinstimmen. Die Militärs glaubten, dass die Leute sich wie in einer „Telenovela“ verhal-ten, dass sie sich für 15 Tage wehren und dann von der Strasse verschwinden. Das Volk jedoch organisiert sich weiter und sagt ihnen: „Vorsicht! wir denken, wir sind informiert und wollen Veränderungen.“ Zurzeit hat der Putsch keine Möglichkeit, sich zu festigen.
Für eine erste Bilanz: Bewertet die Widerstandfront die Art des gewaltlosen Widerstandes als positiv?
Ohne Zweifel. Das Volk widersteht, erduldet und muss seine Toten betrauern. Und die Putschisten zeigen sich der internationalen Gemeinschaft so wie sie sind, eben als Tyrannen.
Was könnte aus dieser aktuellen, verfahrenen Situation heraus führen?
Dass die Leute weiterhin zusammenstehen. Der Widerstand zeigt grosse Kreativität. Und dass sie nicht von der Strasse ablassen, ihre Disziplin aufrechterhalten, dass sie sich weiterhin mit gewaltlosem Widerstand ausdrücken.
Erschwert oder erleichtert die klandestine Rückkehr des abgesetzten Präsident Manuel Zelaya am 21. Sep-tember nach Honduras und seine Unterbringung in der brasilianischen Botschaft in Tegucigalpa die Lösung des Konfliktes in Honduras?
Mel Zelaya kehrte zurück als Honduras international kein Thema mehr war. Die Möglichkeiten für Dialog und Verhandlungen drohten zu zerrinnen und der Vorschlag von San José (Costa Rica) war auf Eis gelegt. Es war offensichtlich, dass er als Präsident etwas tun musste. Die Rückkehr war eine kohärente Massnahme.
Da Sie sich auf den Präsidenten Zelaya beziehen...... Könnten Sie uns erklären, ob er wirklich für ein volks-nahes Projekt steht oder ob seine Situation als Opfer eines Putsches ausschlaggebend war für das Aufbe-gehren des Volkes?
Es geht weniger um die Person von Mel als um die Erfolge, die das Volk während seiner Amtszeit verzeich-nen konnte. Dies ist Grund genug um ihn zu unterstützen. Das Volk verdankt ihm einige Errungenschaften. Wie zum Beispiel die Nichtprivatisierung und die Loslösung des Service Public aus dem Privateigentum. Es ist eine Anerkennung von der Volksbewegung, denn es war eine Hauptforderung unseres Kampfes. Zudem erlaubte er keine Konzessionsvergaben für die Ausbeutung von Minen und anderen natürlichen Ressourcen. Auch dies ist wichtig.
Mel Zelaya erreichte die Sicherung einer öffentlichen Ausschreibung für den Kauf von Treibstoff. Dies er-möglichte die Senkung des sehr hohen Benzinpreises und einen guten Vertrag mit der „Petrocaribe“.
Auch ist die Auswirkung seiner Entscheidung, den Minimallohn von 2 800 auf 5 500 Lempiras zu erhöhen, nicht zu unterschätzen.
Zelaya befürwortete den Beitritt in die ALBA (Alternative Bolivariana para los Pueblos de Nuestra Améri-ca), der eine Forderung der Volksbewegung war. Es wurde erreicht, dass der Kongress der Republik den Beitritt verabschiedete. Das sind Errungenschaften, die dem Volk zeigten, dass Veränderungen mit der Prä-sidentschaft von Zelaya möglich waren. Dass Mel Zelaya sich auf das Volk besann und sich ihm zuwendete, zeichnet ihn aus.
Ein anderes wichtiges Argument: Zelaya unterstützt die Forderung für ein Referendum zur Einführung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung, die letztlich einer der Vorwände für den Putsch waren. Es ist zu erinnern, dass die Volksbewegung diese bereits 2005 im Zusammenhang mit dem Kampf gegen das Frei-handelsabkommen forderte, da wir es als wichtig erachteten die Verfassung gegenüber dem zunehmendem Einfluss der Handelsabkommen zu stärken.
Die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) schlägt seit Wochen einen Friedensplan vor. Vermitt-ler ist der Präsident von Costa Rica, Oscar Arias. Ist dieser Vorschlag umsetzbar?
Er zeigt auf, dass ein Dialog möglich ist. Aber wir stimmen nur dem ersten Punkt des Vorschlags zu, der die Wiedereinsetzung des Präsidenten Zelaya und die Rückkehr zur verfassungsrechtlichen Ordnung vorsieht, die am 28. Juni aufgehoben wurde. Wir akzeptieren die Idee der Amnestie nicht, denn der Putsch ist ein Verbrechen und muss strafrechtlich geahndet werden. Zudem negiert der Vorschlag die vom Volk verlangte verfassungsgebende Versammlung, mit der weit reichende Reformen ermöglicht würden.
Der De-facto-Präsident hat Wahlen für den nächsten 29. November einberufen. Können diese zu einer insti-tutionellen Normalisierung des Landes beitragen?
Unter den aktuellen Bedingungen der Repression ist es unvorstellbar, an solchermassen illegitimen Wahlen teilzunehmen. Unter Waffendrohung können wir nicht wählen gehen. Zudem können wir der Armee, die als Garantin der Wahlen fungiert und die unsere Rechte verletzt, nicht trauen. Das Volk hat nein zu diesen Wahlen gesagt. Wir gehen nicht wählen.
Und ihre Aufforderung an die internationale Gemeinschaft?
An die Regierungen: dass sie die De-facto-Regierung unmissverständlich verurteilen, dass sie klare Sanktio-nen verabschieden und dass sie Zweideutigkeiten zwischen Rhetorik und Handlung vermeiden. Im Ver-gleich zu Lateinamerika, das klare und kohärente Positionen einnimmt, vermitteln die USA und Europa eine unentschlossene Haltung gegenüber dem Putsch.
Demzufolge bestehe ich auf 3 Forderungen: dass sie uns helfen, die verfassungsrechtliche und institutionelle Ordnung wiederherzustellen; dass sie es unterlassen, einen illegalen Wahlgang zu finanzieren und dass sie, so wie ich es vorhin sagte, eindeutige und harte Massnahmen ergreifen, um die Putschisten zum Rückzug zu zwingen.
Den sozialen Bewegungen und der internationalen Solidarität, sei es in Europa, Lateinamerika oder in den USA, danken wir für ihr Engagement und ihre Hingabe. Ohne ihre Unterstützung wären wir möglicherweise bereits von der Landkarte und der internationalen Agenda weggewischt worden. Wir hätten unseren Wider-stand nicht aufrechterhalten können.
Wie erleben die Militanten im Widerstand die tägliche Repression und wie schützen sie sich in diesem Aus-nahmezustand?
Die Gefahr besteht immer. Wir wissen, dass die Gegenseite zu jeder Zeit agieren kann. Wir haben keine Angst. Wenn wir z.B. eine solche Rundreise im Namen des unterdrückten Volkes machen, übernehmen wir eine Verantwortung. Müssten wir unser Leben für dieses Volk geben, würden wir es gerne tun. Es erfüllt uns mit Stolz alles für ein Volk zu geben, das fühlt, wann der Zeitpunkt einer Veränderung gekommen ist und sich entschieden hat Protagonist zu sein.
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* Betty Matamoros, 47 Jahre alt, Verantwortliche für Internationale Beziehungen der Widerstandsfront, ist Volksschullehrerin. Neben den 15 Jahren Berufstätigkeit in diesem Bereich fördert und stärkt sie auch Frauenorganisationen. Im Jahr 2006 nimmt sie an der Schule „Escuela de Incidencia Política del Instituto Hondureño“ teil. Seit dem Mai 2006 bis zum Dezember des letzten Jahres arbeitete sie an der Schule „Es-cuela Metodológica Nacional en Educación Popular“, die der „Coordinadora Nacional de Resistencia Po-pular“ angehört. Sie vertritt diese Schule im Netzwerk „ALFORJA“ mit Sitz in San Salvador. Zurzeit ist sie Teil der Schule „Escuela de Género de la Coordinadora“ und ist verantwortlich für Internationale Bezie-hungen des „Frente Nacional contra el Golpe de Estado“.
Kasten
Der Widerstand ist reine Volkssache
(sf) Die Widerstandsfront entsteht am 28. Juni gegen den Staatsstreich. Getragen wird sie von den Volksor-ganisationen, d.h. von den LehrerInnen, den BäuerInnen, den ArbeiterInnen, den Indígenas, den Schwarzen und den KünstlerInnen.... , von allen Sektoren, denen ihre Rechte genommen wurden. Es ist wichtig zu ver-stehen, dass das Volk vorher keine Organisierung hatte und sich jetzt im Frente zusammengeschlossen hat.
Das ist neu. In Honduras sind 1.5 Millionen Personen arbeitstätig und nur 7% davon sind organisiert. Was heisst das? Dass die Mehrheit der Leute, die am Widerstand teilnehmen, puro pueblo sind, normale, nicht organisierte Menschen aus dem Volk. Die sich zusammen tun, wenn sie sehen, dass ihre Rechte verletzt werden. Heute organisieren sich alle: die Stadtteile im Widerstand, die AnwältInnen im Widerstand, die Angestellten des Gesundheitswesens im Widerstand... Dies ist eine grosse Lehre für die Volksbewegungen: Wird die Notwendigkeit verspürt, sich zusammen zu tun, organisiert sich das gemeine Volk von alleine und verlangt die direkte Beteiligung. Jeden Sonntag werden Vollversammlungen in den Departementen abgehal-ten, an denen die aktuelle Situation diskutiert wird. Es wird ausgewertet und nächste Aktionen werden vor-geschlagen. Die Entscheidungen werden kollektiv getroffen. Die Leute selbst sagen uns, was zu tun ist. Eine sehr sympathische Form von Widerstand entwickelte sich, die wir “Bullaranga” nennen. In jedem Quartier machen die Leute Lärm, z.B. mit Trillerpfeifen, bis in die Nacht hinein, als Protest gegen den Putsch. Es ist für die Polizei unmöglich, so viele Leute zur selben Zeit zu kontrollieren. Es ist eine Art des Aufstandes. Nach dem Putsch informierten wir die Leute, dass sie nicht illegal handelten. Die Verfassung der Republik erlaubt dies. Im 3. Artikel der Verfassung steht, dass man keiner Regierung, die widerrechtlich und mit Waf-fengewalt die Macht an sich gerissen hat, Folge leisten muss. Der Aufstand ist somit verfassungskonform. Die Leute wissen es, sie kennen diesen Verfassungsartikel und machen sich den Protest zu eigen und verste-hen ihn als grundlegende Notwendigkeit. Der Widerstand ist das Volk.