(26.10.09) Letzten Freitag waren sich die legitime Regierung von Mel Zelaya und das Putschlager in einem einig: Ihre von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) angeleierten Verhandlungen waren gescheitert. Während rund einer Woche schienen sich die Delegationen der beiden Seiten einigen zu können. Man verständigte sich darauf, den Termin des 29. Novembers für allgemeine Wahlen beizubehalten; einen Monat zuvor sollte die Armee dem (putschistischen) Wahlgericht unterstellt werden; eine Regierung der „nationalen Einheit“ sollte bis zur Amtsübergabe nächsten Januar von Mel Zelaya geleitet werden und sich jeglicher Insinuation einer Verfassungsgebenden Versammlung enthalten; und, nicht unbedeutend, eine Amnestie wurde für beide Seiten ausgeschlossen. Gerüchten zufolge hat sich die 3er-Delegation von Putschaushängeschild Roberto Micheletti in Sachen Amnestie über den Tisch ziehen lassen. Die Armeeführung habe klargemacht, dass eine Nicht-Amnestie für sie nicht in Frage komme. Faktisch einigten sich die beiden Lager bis auf die Amnestiefrage also auf den Fahrplan von Clinton/Arias (Pakt von San José).
Doch der springende Punkt war die Rückkehr Zelayas an die Regierung. Das Putschlager weigerte sich, den Kongress, der formal den Putsch „legitimiert“ hatte, zwecks Rücknahme seiner verfassungswidrigen Massnahme anzurufen. Als „Kompromiss“ schlugen die Gorilettis vor, das Zelaya-Lager könne das Parlament und ihr eigenes das Oberste Gericht anrufen, ohne den beiden Instanzen eine Zeitlimite für ihre „Erörterungen“ zu setzen. Das ist natürlich Quatsch (zudem sitzen im Obersten Gericht ausschliess ultrareaktionäre ExponentInnen der beiden „staatstragenden“ liberalen und nationalen Parteien).
Eigentlich sieht alles danach aus, dass die Verhandlungen definitiv gescheitert sind. Am Schluss werden wir noch kurz auf die verbleibende Möglichkeit einer Einigung zu sprechen kommen
Szenarium Putschwahlen
Die Gorilettis haben erfolgreich auf Zeit gespielt, um freie Bahn für die Ausrichtung der Wahlen vom 29. November zu haben. Das Kalkül dabei: Die internationale „Aufregung“ über den Putsch vom 28. Juni werde sich danach legen und eine erst versteckte, dann wie selbstverständliche Anerkennung der aus den Diktaturwahlen hervorgegangenen neuen Regierung werde einsetzen.
In der Zwischenzeit soll der Widerstand im Land gebrochen werden. Es ist leider mit einer Zunahme der Repression zu rechnen. Denn der Widerstand ist natürlich nicht bereit, beim Spiel der „internationalen Gemeinschaft“ von den „nicht perfekten, aber doch einigermassen demokratischen Wahlen“ mitzuspielen. Die Parole ist friedlicher, aber aktiver Boykott der Putschwahlen. Zwar sind die sozialen Explosionen in den Unterklassenquartieren aufgrund der auf dieser Blogseite auszugsweise dokumentierten Repression verschwunden, doch gibt es täglich Demos und Kundgebungen. So gestern Nacht in der nordwestlichen Stadt Santa Rosa de Copán:
“In Quartier nach Quartier gab es Versammlungen, Feuerwerk, Musikereignisse, Volksküchen, Reden, Aufrufe etc. Man traf sich zum Sch)luss im Park La Libertad für eine politische Kundgebung“. (Misael Carcamo in Newslist Resistencia
Der Widerstand sieht sich täglich mit Armee und Polizei konfrontiert – und das seit dem 28. Juni (dem Putschtag). Das Gerede von wegen „institutioneller Absetzung Zelayas“ widerlegte übrigens vor wenigen Tagen der offizielle Polizeisprecher Daniel Molina, der, von einer versteckten Kamera gefilmt, ausführte:
„Die Sorge der internationalen Gemeinschaft ist nicht so sehr, dass Mel wieder ins Amt zurückkomme, als dass sie das Beispiel Honduras sehen. Alle diese [ausländischen] Militärs wollen dem Beispiel folgen … Hier hat es einen Militärputsch gegeben. Wir [die Militärs] haben nicht das Kommando. Aber wenn Sie das Land analysieren, haben wir das Kommando. Wir sind im Präsidentenpalast, aber wir erlauben, dass sie reden und reden, aber in Wirklichkeit führen wir das Kommando“.
Wes Geistes Kind die „Ordnungskräfte“ sind, zeigt ein AFP-Bericht in der heutigen Onlineausgabe von El Tiempo (Operación tortilla brasileña asegura comida y medicamentos a Zelaya y acompañantes), der beschreibt, wie sich während der „Verhandlungen“ die Repression gegen Mel Zelaya und alle anderen, die sich in der brasilianischen Botschaft aufhalten, verstärkt hat. AFP beschreibt, wie der Unicef-Delegierte in Honduras, Sergio Guimaraes, nur mit grösster Mühe und nach schikanösen Kontrollen ein wenig Essen in die Botschaft bringen kann (aber zum Beispiel kaum Hygieneartikel). Guimaraes:
„Es ist das erste Mal, dass wir Früchte vom Arzt verschreiben lassen müssen. Nadeln, Faden, Batterien und viele Nahrungsmittel lassen sie nicht durch“.
Für Guimaraes wird die Kontrolle als psychologischer Druck verschärft, den man, so AFP,
„gegen den [Botschafts-] Sitz eingesetzt hat: ohrenbetäubende Musik aus Lautsprechern im Morgengrauen, Rampen für Scharfschützen und magnetische Wellen, die Kopfschmerzen verursachten und die von den Bewohnern mit Aluminium an den Wänden neutralisiert wurden“.
Brasilien hatte vom UNO-Sicherheitsrat Massnahmen zum Schutz seiner Botschaft verlangte. Vergeblich, denn Washington hielt das für kein des Sicherheitsrates würdiges Thema. An der OAS-Generalversammlung von letzter Woche sagte der brasilianische Botschafter Ruy Casaes:
„Die brasilianische Delegation bedauert die Menschenrechtsverletzungen des De-facto-Regimes und verlangt die sofortige Beendigung der Foltersituation für die brasilianischen und honduranischen Bürger [in der Botschaft]“ (Telesur, 21.10.09).
(Nur als mentales Training: Stellen wir uns vor, das iranische Regime ginge so gegen die britische Botschaft in Teheran vor. Ob die NZZ einmal verächtlich von britischer Fabulierkunst und die meisten Medien überhaupt nicht davon berichten würden?)
Das Putschregime setzt auf internationale Streicheleinheiten nach „erfolgreichen“ Wahlen. Es ist davon auszugehen, dass es zu einem verbreiteten Wahlboykott kommen wird. Die Bewegung der „unabhängigen Kandidaturen“ um den als Präsidentschaftsanwärter gesetzten Gewerkschafter Carlos Reyes, die den ganzen Bereich von der Präsidentschaft bis zu den Gemeinderäten abdeckt, weigert sich, an Putschwahlen teilzunehmen. Während einige Reyes unter normalen Bedingungen reale Chancen zugesprochen haben, hätten die „unabhängigen Kandidaturen“ vor allem das Machtmonopol der beiden reaktionären Grossparteien durchbrechen sollen. Als Begleiterscheinung sozusagen zum entscheidenden Match für eine neue Verfassung. Auch die kleine Linkspartei DU verweigert sich Putschwahlen und am Wochenende haben 300 KandidatInnen der Liberalen Partei vielleicht etwas vollmundig bekundet, an Gorilettiwahlen nicht teilzunehmen.
Doch das Regime, das den Wahlrat zu 100 Prozent kontrolliert und auf ein WählerInnenregister im lamentablen Zustand zurückgreifen kann, wird die Teilnahmezahlen massiv aufblasen.
Selbst wenn Zelaya am Wochenende wieder an die Regierung hätte zurückkehren können, wäre übrigens ein halbwegs realistischer Wahlkampf der linken Kräfte illusorisch gewesen. Ein Wahlkampf ist eine andere Sache als eine Strassenmobilisierung. Allein für den Aufbau eines Apparates für die „Verteidigung der Stimme“, also die Überwachung des Geschehens an Urne und Auszählzentrum, braucht eine gut organisierte, wahlerfahrene Kraft viele Monate ... Die Wahlen aber stehen in weniger als sechs Wochen bevor.
Neben der Frage der von Regimegrössen schon angekündigten Repression gegen aktiven Wahlboykott stellt sich die Frage, ob das Regime international mit seinen Diktaturwahlen durchkommt. Vermutlich haben die imperialistischen Zentren ihre diesbezügliche Position noch nicht abschliessend festgelegt. Entgegen der Lügenpropaganda in Honduras ist etwa eine Beteiligung der EU an der Beobachtung der Wahlen ausgeschlossen. Am 22.10. zitierte Notimex (Descarta UE supervisar elecciones en Honduras) den Kommissionsdelegierten für Zentralamerika, Petro Mavromichalis, mit folgenden Worten:
„Unter keinen Umständen werden wir Beobachter entsenden … Im aktuellen Klima, bei der Gewalt, den Freiheitsbeschränkungen, den Anschlägen auf die Menschenrechte, ist es schwer vorstellbar, dass wir diese Wahlen werden anerkennen können … Mit ein wenig politischem Willen liesse sich das lösen“.
Die Nicht-Observation führt Mavromichalis allerdings in erster Linie auf die fehlende Vorbereitungszeit zurück, auch unter einer allfälligen Zelaya-Regierung wäre es jetzt zu spät, hat er gesagt. Vor allem aber bedeutet Nichtbeteiligung nicht Nicht-Anerkennung. Sollte es zu Putschwahlen kommen, ist schwer vorstellbar, dass sich die EU davon lange in ihrem Kernvorhaben in der Region, einem fürchterlichen Freihandelsvertrag (Assoziierungsabkommen), aufhalten lässt. Wahrscheinlicher wird man eine höfliche Pause einlegen, bevor man zu einer Anerkennung der „neuen gewählten“ Regierung schreiten wird, die von Ländern wie Panama oder Kanada vorgespurt werden würde. (Man sollte auch den neuen deutschen Aussenminister Westerwelle im Auge behalten, dessen Parteistiftung sich militant hinter den Putsch gestellt hat.)
Aufschlussreich ist diesbezüglich auch eine Frage an den US State Department-Sprecher Jan Kelly und seine Antwort am Pressebriefing vom letzten Freitag:
„Frage: Gibt es irgendeine Möglichkeit, dass die Administration ihre Position [Wahlen unter Micheletti wären nicht legitim] zurecht biegen oder aufgeben wird? Wenn es zu keinen Deal kommt, einfach entscheiden, dass, ok, wir betrachten die Wahlen als legitim. Es handelt sich um eine Möglichkeit für die Leute, sich trotz der aktuellen Situation auszudrücken“.
„Mr. Kelly: Yeah. Nun, Sie bitten mich, darüber zu spekulieren, was wir tun oder nicht tun werden. Aber wir sind jetzt gerade auf die Versöhnung und die Wiedereinführung ins Amt fokussiert“.
Für die USA wäre ein dieser Tage offiziell in die Casa Presidencial zurückkehrender Zelaya ein Geschenk des Himmels. An einem rechten Wahlsieg im November könnte das nichts mehr ändern. Es sollten wären Wahlen ganz nach herrschendem Geschmack werden, ein Wundermittel gegen den gesellschaftlichen Aufbruch in Honduras. Weg das Gespenst der Aufstände in den Barrios, weg der Horror mit der Verfassungsgebenden Versammlung, weg die Zumutung einer partizipativen Demokratie über die Wahlkabine hinaus! Dafür wurde Zelaya gestürzt! Die Konstituente sollte für neue soziale Realitäten eine neue Verfassung schaffen. Eine Realität etwa, in der Wasser nicht privat ist und die Volksgesundheit und der Schutz der Umwelt vor dem Profit des Minenunternehmens kommen. Die Konstituente war keine Erfindung Zelayas’, sondern eine Forderung der Volksbewegung, auf die Zelaya eingeschwenkt ist. Und warum diese Idee? Weil sich in der Auseinandersetzung mit dem Freihandelsvertrag CAFTA der USA mit den zentralamerikanischen Länder herausstellte, dass CAFTA der honduranischen Verfassung übergeordnet ist (wie allen Verfassungen der beteiligten Ländern, ausser jener der USA). Da fanden die Leute in Honduras, es brauche eine neue Verfassung, die solches verunmögliche, und wollten die jetzige, die ihnen 1982 vom damaligen US-Botschafter John Negroponte diktiert worden war, verändern.
Doch noch Arrangement für „partielle Institutionalität“
Interessanterweise versichert heute in El Tiempo auch der Chilene John Biehl, Berater von OAS-Chef José Miguel Insulza:
„Wir haben eine schwierige Konjunktur, aber ich glaube, dass man vermutlich in dieser Woche zu einer Regelung kommen wird. Die Dinge haben sich sehr angenähert… Es wird eine Rückkehr zur institutionellen Ordnung geben, vielleicht keiner totalen, aber zumindest einer partiellen“ (Jefe negociador de OEA ve "muy cercano" el acuerdo final).
Auch Zelaya blies am Wochenende ins gleiche Horn, als er in einer telefonischen Grussadresse an eine Konferenz von 3000 Mitgliedern der Liberalen Partei meinte, in wenigen Tagen werde er im Amt sein. Mag sein, dass hinter den Kulissen entscheidende Gespräche stattfinden. Dies würde allerdings heissen, dass der Widerstand jetzt davon ausgeschlossen ist (im Gegensatz zu den Verhandlungen letzter Woche), Bis auf diese eine Grussadresse hat auch Zelaya in den letzten Tagen von einem Scheitern der Gespräche gesprochen. Es wäre nicht das erste Mal, dass er sich punkto Rückkehr täuscht und vor allem nicht das erste Mal, dass OAS-FunktionärInnen mit derartigen Äusserungen Druck für einen den USA genehmen Ablauf der Dinge machen.
Käme es aber zu einer Einigung, ohne dass sich Zelaya zur Bekämpfung des Widerstandes verpflichten müsste, würde dies wohl trotz aller Einschränkungen für die Bewegung einen wichtigen Sieg und für die Putschisten einen grossen „Gesichtsverlust“ bedeuten. Genau deswegen und wegen ihrer Ausstrahlung für die putschfreundlichen Kräfte im ganzen Südkontinent erscheint aber eine solche Einigung nicht als wahrscheinlich.
Demo gegen Putschwahlen
Vorderhand müssen wir davon ausgehen, dass die Verhandlungen gescheitert sind. Und sollten wir uns am Widerstand orientieren, der die Solidarität dringend dazu aufruft, die Anerkennung einer aus Putschwahlen hervorgegangenen Regierung international zu bekämpfen. Beim Besuch der Vertreterin des Widerstandes, Betty Matamoros, im Schweizer Aussenministerium machte dieses klar, dass es zum gegenwärtigen De-facto-Regime keine Beziehungen unterhalte, sich aber punkto Anerkennung einer allfälligen neuen Putschregierung an der „internationalen Gemeinschaft“, sprich Washington und Brüssel, orientieren werde. Deshalb rufen wir Dich dazu auf, an der von einer Allianz von lateinamerikanischen und schweizerischen Gruppen vorbereiteten Demo am 21. November in Bern teilzunehmen.
Aktuelle Infos über linke Medien, Versände und Homepages.
Alle nach Bern an die Solidaritätsdemo für den Aufbruch in Lateinamerika, für den Widerstand in Honduras und gegen den Zynismus der globalen PutschistInnen!