Ecuador: Gegen das Wegreden des Putsches

Samstag, 9. Oktober 2010

Uminterpretieren um zu schwächen:
Die Optionen für den Wandel in Ecuador

Magdalena León T.

* Von der Red Latinamericana Mujeres Transformando la Economía (Netzwerk Lateinamerikanischer Frauen für die Transformation der Ökonomie)

Original: alainet, 6.10.10.: Las oposiciones al cambio

Nach den Putschereignissen von Donnerstag, dem 30. September, bricht in Ecuador neue Woche an. Noch fehlte einiges an Information über das Vorgefallene, aber schon wimmelte es von Interpretationen und Uminterpretationen, die in einigen Fällen bis an die Grenze zur Banalisierung der Vorfälle reichten. Vorfälle von grosser politischer Komplexität und angesichts mehrerer Toten und Dutzender von Verletzten auch von grosser menschlicher Sensibilität.

Tatsächlich ist ein regelrechter Disput um die Reinterpretation im Gang, die sich unmittelbar als Disput angesichts des politischen Resultats darstellt, welches die Unterstützung für das Projekt der BürgerInnen-Revolution (revolución ciudadana) und für Präsident Correa unterstreicht. Die Reintepretationen kommen aus verschiedenen Ecken, aber der Versuch ist ihnen gemein, dieses Resultat zu schmälern. Und zwar mittels der Fokussierung auf Zweifel, ob es überhaupt eine Putschintention, eine Entführung [des Präsidenten] gegeben habe und vor allem darauf, die Verantwortung, gar Schuld, dem Präsidenten und der Regierung zuzuschieben.

Zum Teil wird dabei auf eine Methode zurückgegriffen, mit der die Regierung systematisch kritisiert worden ist: sich auf die Figur von Correa zu konzentrieren. So wird aus einem Prozess, der selbstredend in einem latenten Disput steckt, und in dem sich vielfältige Akteure, Interessen und Beziehungen kreuzen, schlicht etwas, das sich darum dreht, was correa sagt oder tut, zu einer Frage seiner Haltung und seines Temperaments.

Eine solche Haltung hat zu einem „Anti-Correismus“ geführt, der, wenn auch minoritär, mehrere Nuancen aufweist, von tiefer Animosität bis zur Reflektion, zum Kalkül, und der dabei natürlich Station beim Kampf der – selbstverständlich männlichen – Egos macht. Aber ohne Zweifel verbindet die Zentralisierung der Angriffe auf Correa Elemente der Ideologie, der analytischen Methode, persönlicher Animositäten und des objektiven Umstandes, dass seine Führung oder Popularität eine der unerlässlichen Bedingungen dafür gewesen ist, den Raum für Veränderungen zu öffnen. Deshalb wird aus verschiedenen Lagern eine Schädigung seines Images anvisiert.

Zu den früheren oppositionellen Plänen gehört auch der Prozess eines Amtsenthebungsreferendums, dessen Betreiber erklärt haben, nicht die angesichts der Volksunterstützung für Correa unmöglichen Absetzung per se anzustreben, sondern seine Schwächung, um das Projekt der Revolución Ciudadana, die fortschreitende Umsetzung der neuen Verfassung,  unrealisierbar zu machen. An dessen Stelle verlangen sie „demokratische“ Mechanismen von Verhandlungstischen mit „pluralistischer“ Beteiligung in einer Façon, die letztlich auf die immer gleichen Gruppen zugeschnitten ist.

Mit anderen Worten: Vor und nach dem 30. September war und ist es die Absicht der verschiedenen Fragmente der Opposition. Den Veränderungsprozess zu schwächen. Ihr hauptsächliches Mittel dazu: Kritik und Disqualifizierung der Figur des Präsidenten.

Bei diesem Mal gehen die Stimmen und Sichtweisen aus der Rechten und aus anderen oppositionellen Lagern darin einig, die als arrogant, autoritär, provokatorisch und sogar machistisch verunglimpfte Präsenz von Rafael Correa in der aufständischen Kaserne in Frage zu stellen. Es heisst, diese Angelegenheit hätte von den zuständigen Ministern behandelt werden müssen, da es sich dabei ja, wie insistiert wird, um einen Protest mit Lohnhintergrund gehandelt habe.

Dies verzerrt, was vor allem eine Geste der Verantwortung in einer für das Land enorm riskanter Situation war: Allein schon damit, dass die Polizei ihre auf Sicherheit auf der Strasse bezogene Aktivität nicht aufgenommen hat, hat sie ein Chaosklima mit unvorhersagbaren Konsequenzen provoziert. Zieht man zudem die gleichzeitig stattfindende Besetzung des Parlaments und die Schliessung der Flughäfen in Betracht, stellte sich die Situation schon genügend kritisch dar, um Chefsache zu sein.

Die Polizeiaktion schreibt sich natürlich in einen Konflikt ein, der über dieses Tagesgeschehen hinaus weist und mit den Schwierigkeiten zu tun hat, eine Körperschaft zu restrukturieren und erneuern, die sich in den Sitten der Repression, des Machtmissbrauchs, des Klientelismus und der Straffreiheit geformt hat. Die beobachtbare Trägheit verlangen nach grundsätzlichen, kreativen und transformatorischen Antworten.

Aber zugunsten des Ziels der Schwächung wird die grundlegende Ausrichtung gegen den Wandel im Namen einer von der Regierung schlecht beantworteten „gerechten Forderung“ nach „Rechten“ legitimiert. Dieser Charakter wird in den Hintergrund gedrängt und es wird ignoriert, was eine Notreaktion von allen provozieren sollte: die Tragweite der von den Bewaffneten gegen die Behörden und die Gesellschaft angewandte Gewalt. Die Volksmobilisierung wurde mit Schüssen, Schlägen, Gas und Beleidigungen angegriffen. Vermummt oder unvermummt schrieen die Parolen gegen Venezuela und Kuba, griffen mehrere Parlamentsabgeordnete verbal oder physisch an, und „schuldigten“ sie als Lesben, Schwule, KommunistInnen an. Im Lager der Opposition gegen den Wandel gibt es eine Einigkeit darin, von ihrem kultiviertesten bis zu ihrem groteskesten Ausdruck, das abzulehnen, was sie als Drohung des „Kommunismus“, des „Chavismus“ und des „Autoritarismus“ bezeichnen.

"Protest" gegen Schwule, Lesben, KommunistInnen

Die Reaktionen und Auseinandersetzungen dieser Tage unterstreichen die Notwendigkeit einer Transition, einer „Adjustierung“ verschiedener Sektoren bezüglich einer Konjunktur der Transformation, in welcher sich Räume und Rollen von Bewegungen und Regierung neu definieren, die sich das Wasser teilen. Dies setzt voraus, gemeinsam eine Agenda für den Wandel als Prozess zu schöpfen – Maximalismus und das Beharren auf einer Lösung stehen dem entgegen. Damit sich die Transformation des Staates und seiner Institutionen und jene der Gesellschaft und ihrer organisatorischen Ausdrücke zusammen kommen.