(zas, 6.7.15) „Oxi“
bedeutet, so lernten wir diese Tage, „Basta ya!“ Es ist Teil einer
Sprache, die man in Herrschaftskreisen nicht verstehen will. 60 % sagen im
Referendum „Oxi“.
aus Il Manifesto, 5.7.15 |
Weil sie, verkünden die Medien im Auftrag der Troika-Spitzen,
die Komplexität des Problems nicht begreifen. Wie sollten das die Leutchen auch
auf die Platte kriegen? Nach nur 5 Jahren Erfahrungen mit der, ähm,
Rettungsaktion der Troika? Die bisher doch viele Erfolge gebracht hat: Einbruch der
Wirtschaftsleistung um fast 30 %, Arbeitslosigkeit von 25 %,
Jugendarbeitslosigkeit über 50 %, weitere Schuldenexplosion, Einbruch der
Staatsausgaben und der Arbeitsplätze beim Staat um je 40 %, Verweigerung der Spitalhilfe
für Arme, Kürzung der Löhne und Renten bis um 30 % u. ä. Tatsächlich, wie
sollten da die Leute in Griechenland auch wissen, ob sie zu der im letzten
Troika-„Angebot“ vorgesehenen weiteren
Kürzung der Renten um 10 – 62 % „ja“ oder „nein“ sagen sollten?
EU-Kommissionschef Juncker log, zu den
Renten sei im letzten „Angebot“ der Troika nichts formuliert worden. Stimmt
sozusagen. Bloss zu den Ergänzungsleistungen. 48 % der Renten liegen heute
schon, dank Troika, unter dem offiziellen Armutslevel – das ist empörend. Nicht
einmal die Hälfte! Deshalb macht das Schlagwort vom „Rentenparadies
Griechenland“ die mediale Runde.
Nun, die Medien wissen: Die Referendumsfrage war verwirrend,
„manipulativ“. Niemand weiss, was die Kindchen in Griechenland mit „Oxi“ eigentlich
sagen wollten. Das aber hindert nicht gerechten Zorn: Der Wirtschaftschef der
NZZ lässt seinem wüsten Frust in Jetzt
aber konsequent freien Lauf: Schluss mit dem „reichen Onkel“ in Brüssel, Schluss mit sanften „Umschuldungsverhandlungen“ (die es nie
gab). Härte sei nun angesagt, denn er respektiere „demokratischen Entscheide“, die „richtungsweisend“ seien. Entscheide, die nicht wollen, wie sie
sollen, und dafür müssen „die Griechen“ jetzt blechen. Die katastrophalen
humanitären und menschenrechtsfeindlichen Ergebnisse der bisherigen
Troika-Politik waren zu „weich“, zu „inkonsequent“ – wie also darf die korrigierte
Zukunft aussehen?
Ah, Finanzminister Varoufakis hat von „Terrorismus“ gesprochen:
„Warum haben sie uns zur
Bankenschliessung gezwungen? Um den Leuten Angst einzujagen. Und wenn es darum
geht, Schrecken zu verbreiten, nennt man das Phänomen Terrorismus. Aber ich
vertraue darauf, dass die Angst nicht gewinnt.“ Eine sachlich begründete
Aussage, aber mit so einem will man in Berlin und Brüssel nicht mehr reden. Er
trat als Finanzminister zurück. Ein Wermutstropfen nach der Freude gestern.
Aber Syriza hat bisher gezeigt, dass sie sehr weit gehende Zugeständnisse an
die Transnationalen macht, ohne dabei die Leute zu verraten. Nicht von ungefähr
sprach Tsipras gestern davon, „das Leben
in die eigenen Hände zu nehmen. Heute besiegt die Demokratie die Angst. Die Entschlossenheit
unseres Volkes besiegt die Propaganda der Angst.“
Doch auf Terror setzen natürlich nicht nur der NZZler und
die Bild-Zeitung. Sondern massgebliche Kräfte in der Troika, von
Merkel/Schäuble über SPD-Schulz vom Europäischen Parlament zur IWF-Chefin
Lagarde und natürlich der EZB. A propos IWF: Sein knapp vor dem Referendum
veröffentlichtes Papier zu Griechenland sagt inhaltlich nichts Überraschendes,
wenn es von der unbestreitbaren Notwendigkeit eines realen Schuldenschnitts
statt bloss zu „sparen“. Mindestens so interessant die in den Medien nicht
erwähnten Versuche der europäischen Länder, die Veröffentlichung des Dokuments zu
verhindern. Man weiss sich Demokratie und Transparenz verpflichtet. Dass sie
trotz Lagardes Hardlinertum scheiterten, dürfte mit der US-Position
zusammenhängen, wonach die deutschen „Spar“-Offensiven zu kontraproduktiv
seien. In einer früheren Phase war Washington aus evidentem Eigennutz auf
dieser Position: Die vordem lukrativen, mit der Wirtschaftskrise ab 2008 aber
zur Belastung gewordenen Schuldscheine der griechischen Regierungen waren noch
in den Händen der französischen und deutschen Banken, die sich auf dem
US-Finanzmarkt gegen das Risiko eines griechischen Zahlungsdefaults versichert
hatten. Zuviel „Austerität“, Wirtschaftsabwürgung, würde zum Default und damit
zum Zahlungszwang für die US-SpekulantInnen führen. Die „Griechenlandhilfe“ der
Troika überführte das Risiko dieser toxic
assets von den Privatbanken in die Zentralbanken der EU-Länder. Das war der
Anlass zur Hetze vom Pleitegriechen, der sich vom deutschen Hartz IV-Empfänger
aushalten lasse. Diese Hetze gibt den selbstverständlichen Hintergrund der
hegemonialen Meinungsäusserung zu Griechenland ab.
Hetze etwa auch der Tadel aus Politik und Medien, das
Referendum sei „manipulativ“ (Schulz), jedenfalls keinesfalls „fair“, wie
gestern eine von Radio SRF täglich konsultierte Einpeitscherin betonte. Kein
Wörtchen zum enormen Bombardement der Bevölkerung via die griechischen
Mainstreammedien; zur faktischen Kampagnenleitung durch EZB und EU-Kommission
(Bankenschliessung, Umdeutung der Referendumsfrage etc.); zu gefälschten
Umfrageergebnissen, die Aufwind für das „Ja“ zum Troika-Diktat zeigten (ein
Meinungsforschungsinstitut musste eine entsprechende Fälschung gestehen); zum aufgeflogenem
Geheimpapier der Nea Dimocratia, das u. a. vorsah, letzten Freitag,
am letztmöglichen Termin für die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen, in
den Medien ein für das „Ja“ positives fiktives Resultat zu publizieren. Dies
geschah dann auch, gehorsamst registriert vom internationalen Mainstream, etc.
pp.
Die grosse Lüge ist natürlich, dass im Zusammenhang mit dem
Troikadiktat unbeirrt von „Hilfe an Griechenland“, nicht an die metropolitanen Finanzgewalten,
gesprochen wird. Sie ist die Lüge aller weiteren Lügen. Sie geniesst
Kultstatus. Sie dient dem grossen Ziel, zu verhindern, dass in Europa noch
andere merken, wie sie verschaukelt werden. Mit am lautesten bellen natürlich Figuren
wie Rajoy in Spanien oder Passos Coelho
in Portugal, die, Vertreter erzreaktionärer Parteien, dem gleichen Zwang
unterliegen wie das überwiegende Gros der Sozialdemokratie: Mit Beissen und
Bellen legitimieren, dass es keine Alternative zum Dreck gebe, den sie
verantworten.
Am Samstag sagte mir eine Compagna aus Mailand, dass sie – ein linkes Bündnis - am kommenden Tag
die Wahlresultate aus Griechenland vor einem Arbeitsplatz mit verfolgen, an dem
sieben Arbeiter im Hungerstreik sind. Die sieben sind Opfer der Jobs Act, jener von der „linkszentristischen“
Regierung Renzi kürzlich durchgedrückten, EU-konformen „Flexibilisierung des
Arbeitsmarkts“, die es den Patrons erlaubt, manchen ArbeiterInnen von heute auf
morgen entschädigungslos zu künden oder von ihnen, wie im Fall der sieben, zu
verlangen, dass sie von Mailand nach Rom pilgern, um dort weiter malochen zu dürfen.
Diese sinnvolle Zusammenlegung lässt uns etwas von der Stärke in Griechenland
erahnen, die gegen den Wirtschafts- und Medienterror das „Oxi“ gesetzt hat. Was
immer jetzt kommt, die EU hat eine schallende Ohrfeige von unten, von links (nicht
von oben, von rechts, von den Blochers, Faranges etc.) erhalten, sie ist
diskreditiert, der Kaiser verliert seine Kleider.