„Dieser Tage gibt es in Honduras keinen Mittelweg“.

Sonntag, 5. Juli 2009

(zas/dd, 5.7.09) Gestern Samstag, 3. Juli, erlebten die Städte Tegucigalpa und San Pedro Sula offenbar riesige Protestdemos gegen den Putsch. Dies im Hinblick auf die für gestern geplante Rückkehr von Präsident Manuel Zelaya in Begleitung von internationaler Prominenz. Das soll nun heute erfolgen, allerdings ist unsicher, ob der Flug wirklich stattfindet. Das Regime gibt keine Landeerlaubnis; der putschistische Aussenminister Enrique Ortez dazu: „Wir teilen das [das Flugverbot] der Welt mit, damit nicht ein Staatspräsident dabei stirbt“. Das bezieht sich auf die vorgesehene Begleitung Zelayas durch Cristina Fernández (Argentinien), Rafael Correa (Ecuador) und andere. Natürlich ist das Bluff – auch die honduranischen Gorillas können es sich nicht leisten, ein ausländisches Staatsoberhaupt umzulegen. Da sei Washington vor – und das ist es auch.

Zwei „Modelle Haiti“

Die Verzögerungen der Rückkehr Zelayas scheinen zu einem beträchtlichen Teil auf das Konto der Administration Obama zu gehen. Denn es wird immer klarer, dass die Kombination von realem Widerstand im Land (mit friedlichen Mitteln) vor allem der sozialen Organisationen und entschlossenem Auftreten der ALBA-Ländergruppe, die nicht nur Worte, sondern auch Taten fordert, die verschiedenen Manipulationsszenarien durcheinander bringen. So wie es unerhört war, dass Zelaya bei den Unterklassen mit seinem Versuch des Verfassungsreferendums die ungehörige Idee unter die Leute brachte, dass sie etwas zu sagen haben – ein totaler Break mit einer Jahrhunderte alter Praxis -, so wenig gehört es sich, wenn lateinamerikanische Staatschefs auf eigene Initiative aktiv werden und nicht nach dem Takt des Trommlers aus Washington tanzen. Eine Option von Washingtons (und Brüssels und eines Teils der lateinamerikanischen Regierungen) dürfte es sein, Zelaya dergestalt auf den Präsidentenstuhl zurückzubringen, dass er jede unbotmässige Regung bis zu seinem absehbaren Abgang unterlässt – nach dem Vorbild der Clinton-Administration, die den weggeputschten haitischen Präsidenten Aristide 1994 in dem Moment, und erst in dem Moment, ins Land zurückbrachte, als er sich zur strikten Befolgung aller „Ratschläge“ von IWF und Weltbank hatte erpressen lassen. Dass Aristide dann später manchmal doch einem sozialen Interesse mehr Gewicht beimass als den Vorgaben aus Washington, führte 2004 zur Putschinvasion gegen ihn. Wir sollten diese Referenz nicht ausser Acht lassen: Der letzte Putsch in der Hemisphäre fand nicht 2002 in Venezuela statt (und scheiterte), sondern in einem gewissen Sinn 2004 in Haiti – mit Erfolg bis heute. Es scheint das 1994er Modell zu sein, dass die Obama/Clinton-Administration für Honduras bevorzugt. Doch werden Betroffene plötzlich auf Eigeninitiative aktiv, gestützt auf eine neue Solidarität im Kontinent, droht dies natürlich, die austarierten Pläne via eine Verschärfung der Situation über den Haufen zu rühren. Und Obama will unbedingt als facilitator of democracy in Honduras posieren – zwecks Erleichterung weiterer Untaten im Kontinent.

Doch das andere Modell Haiti, das von 2004, steht auch im Raum: Morden, ohne dass es die „internationale Gemeinschaft“ stört. Gestern Samstag liess das Regime seinen Kardinal Rodríguez vortraben, der Zelaya beschwor, nur ja nicht zurückzukommen, da sonst ein grosses Blutbad auf seinem Gewissen laste. Der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega warnte gestern, dass die Putschisten versuchen würden, über bewaffnete Provokationen das Bild eines von Nicaragua, Venezuela und Kuba angegriffenen Honduras zu zeichnen. Die honduranischen Militärs würden laut Ortega „paramilitärische Gruppen organisieren“, die aus Antiputschdemos heraus auf PutschanhängerInnen schiessen sollen, um so „ein Blutbad zu rechtfertigen“. Tatsächlich brachte die heutige Online-Ausgabe des Putschistenblattes La Prensa einen Artikel, wonach nica-kubanisch-venezolanische Terrorgruppen, womöglich unterstützt von nationalen Subjekten, Bombenanschläge in Tegucigalpa ausgeführt hätten und ein Chaos planten.

Wem vertraust du?
Wie weit zum Beispiel die Hetze des Kardinalputschisten vom angedrohten Blutbad Teil einer psychologischen Kriegsführung ist, lässt sich kaum beurteilen. Das Säbelrasseln soll die Versuche der USA in der OAS, die nicht von ihnen orchestrierte Rückkehr von Zelaya zu unterbinden, stärken. Vor allem aber soll es die wirklich beeindruckende Volksmobilisierung einschränken. Gestern z.B. sind die Pro-Putsch-Mobilisierungen klar gegenüber den rebellischen Demos abgefallen – dies obwohl eine Teilnahme an den Gorillademos für Staatsangestellte und andere ArbeiterInnen vom Patron her Pflicht ist und kontrolliert wird, und dies vor allem, obwohl die Pro-Demokratie-Demos direkt mit der Armee konfrontiert sind. Natürlich haben die Streitkräfte (bisher!) auf ein Vorgehen à la Santiago 1973 oder Guatemala 1954 „verzichtet“ – der wichtigste Unterschied zu früheren Militärputschen. Dennoch ist nach übereinstimmenden Berichten aus vielen Quellen die Repression äusserst stark und der Mut daher der trotzdem mobilisierenden Volksorganisationen absolut bemerkenswert. Viele AktivistInnen aus Gewerkschaften etc. schlafen seit dem Putsch nicht zuhause, auf dem Land hat das Militär viele Proteste aufgelöst und Menschen verhaftet; nicht nur regimekritische Medien wurden geschlossen und/oder schikaniert, sondern die Übertragung des Signals selbst von CNN en español wurde sabotiert. Über das Ausmass von Verhaftungen, das Vorkommen von Fällen von Verschwundenwerden, vereinzelte Tote wird man wenn überhaupt erst zu einem späteren Zeitpunkt genaue Angaben haben. Jedenfalls ist es in so einer Situation keine Frage, wem wir vertrauen können: den für Freiheit kämpfenden Organisationen und ihren vielen Berichten über stets zunehmende Repression, oder den Gorillas, die behaupten, ein Putsch habe nie stattgefunden und ihre Ausrufung des Ausnahmezustandes sei eine Aktion zur Verbesserung der demokratischen Normalität.

Worum es geht
Ein Letztes noch: Lassen wir uns nicht von der üblichen Desinformationspolitik einlullen. Die Verhältnisse in Honduras spitzen sich zu, das Ergebnis ist offen. Die Menschen brauchen unsere Solidarität. Es ist Teil der verinnerlichten Desinformation, die reale gesellschaftliche Dynamik „unten“ nie mitzuschneiden. Die Vorgänge am OAS-Hauptquartier in Washington haben ihre Relevanz, doch weit mehr als Ausdruck eines Kräfteverhältnisses, wie es sich auf den Strassen von Honduras und dem ganzen Kontinent zeig, sind sie nicht. Das Augenmerk allein auf sie zu richten, heisst, die realen HeldInnen des antidiktatorialen Kampfes, die einfachen Leute, nicht nur zu missachten, sondern anzugreifen.

Besser als manch „Progressive“, die es modern finden, zwischen Für und Wider des Putsches einen „Dialog“ zu fördern, hat das alte Schurkenblatt Miami Herald gestern die Situation erkannt. Seine Reporterin Frances Robles schreibt: „Dieser Tage gibt es in Honduras keinen Mittelweg“. Sie beschreibt die unterschiedliche Art Leute an den Pro- und den Antiputschmobilisierungen. Die ProputschistInnen sind in sauber gebügelte Jeans und neue weisse T-Shirts gekleidet. „’Die Coup-Planer sind verantwortlich für die Spaltung unseres Volkes’ sagte Daisy Chávez, eine Schullehrerin, die unter den Tausenden war, die dieses Wochenende aufmarschierten, um die Rückkehr Zelayas zu fordern. ‚Schau sie dir nur an mit ihren schönen kleinen Shirts und sauber gestyltem Haar. Und wir, die AnhängerInnen von Mel? Wir kommen an die Proteste und sehen dabei genau so aus, wie als wir aus dem Bett stiegen’“ (MH, 4.7.09: In Honduran debate over coup, lines between rich and poor never so stark,). Die Lehrerin bleibt mit solchen Primitivitäten natürlich unter dem intellektuellen Anforderungsprofil, dem andere auch hierzulande genügen, was sie eben bei einem Putsch speziell komplexe Verhältnisse erkennen lässt, die keine Verurteilung, gar GegenerInnenschaft erfordern, sondern ein ausgewogenes Arrangement. Das geht von Medien bis in einen Teil der Hilfswerke. Die Journalistin zitiert résumierend auch einen entfernten Verwandten von Kaspar Villiger, einen Betriebsmanager namens Oscar Chávez, der weiss: Die gegen den Putsch Kämpfenden „haben nicht die intellektuelle Kapazität, um zu verstehen, was [im Land] vor sich geht“. Das Miami-Blatt beschreibt die gesellschaftliche Konfrontation hinter dem Für und wider des Putsches und nimmt Stellung für die Oligarchie. Das ist weniger verlogen als die Haltung jener, die progressiv reden, aber alles daran setzen, sich nicht mit dem Widerstand zu solidarisieren.