"Uns ist klar, warum wir am Samstag, dem 21. November, in Bern unsere Solidarität mit dem Widerstand in Honduras und Lateinamerika demonstrieren".
(7.11.09) Die absurdesten Vermutungen haben sich bestätigt. Wie in dem am Freitag, dem 30. Oktober, von den Delegationen der rechtmässigen und der putschistischen Regierung unterzeichneten Abkommen vorgeschrieben, kam es letzten Donnerstag zur Ernennung einer Regierung der „nationalen Einheit“. Mit einer Besonderheit: Es war Putschaushängeschild Roberto Micheletti, der sie ernannte und ihr der Einfachheit halber auch gleich vorstand. Wer meinte, der rechtmässige Präsident Mel Zelaya müsse sie ernennen und sie sollte VertreterInnen dieser rechtmässigen Regierung umfassen, hat wieder mal wenig kapiert.
Der Trick
Denn man interpretiere das Abkommen brachial um. In seinem wesentlichsten Punkt steht da nämlich, dass das Parlament, nach allfälliger Konsultation des Obersten Gerichtes oder anderer Instanzen, „in den es betreffenden Angelegenheiten bezüglich der Zurückführung der Inhaberschaft der Exekutivgewalt auf dem Stand der Dinge vor dem 28. Juni“ (Putschtag) entscheide (que el Congreso Nacional … resuelva en lo procedente en respecto a retrotraer la titularidad del Poder Ejecutivo a su estado previo al 28 de junio). Also Präsidentschaft zurück an Zelaya. Was verbarg die gewundene Formulierung? Das Entscheidende liegt im Begriff „in den es betreffenden Angelegenheiten“ (en lo procedente). Die Verfassung sieht nicht vor, dass das Parlament den Präsidenten wählt. Dafür gibt es das Volk. Auch nicht absetzt, ausser im Falle von offensichtlicher Geisteskrankheit (ALBA-Mitgliedschaft als Symptom geistiger Umnachtung?). Deshalb hatte das Parlament am 28. Juni null Befugnis, Mel „abzusetzen“, abgesehen von der gefälschten Unterschrift unter das „Rücktrittsschreiben“, mit dem die Abgeordneten damals herumwedelten. „En lo procedente“ beinhaltet demnach nicht, dass es Sache des Parlaments sei, gelegentlich über eine Wiedereinsetzung oder definitive Absetzung von Zelaya zu befinden, sondern einzig über die Rücknahme seines verfassungsverletzenden Beschlusses, den Präsidenten zu stürzen.
Natürlich sahen das die Gorilettis in Honduras und die Gorillas in den USA anders. Für sie heisst die Passage, irgendwann mal entscheidet die ranzige Rechtsmehrheit im Parlament darüber, ob Zelaya nochmals die Casa Presidencial von innen sehen darf oder nicht. Und wann das sein wird, das bitte sehr ist allein Sache des souveränen Parlaments. Es ist zu blöd, all die Ausflüchte zu zitieren, die die Parlis anführen, um die Sache auf die lange Bank zu schieben.
Rätselhaft bleibt, warum die Zelaya-Delegation die nur schwer verständliche und für die Mainstreammedien die Grenzen des Fassbaren definitiv überschreitende Formulierung akzeptiert haben. Es brauchte wahrlich kein Hellsehen, um zu begreifen, dass die PutschistInnen hieraus eine wahre Goldgrube für ihre weiteren Mätzchen machen würden. Gelegentlich wird man dazu mehr erfahren.
Jedenfalls war der Abend des Donnerstags, des 5. Oktober, da, an dem die Regierung der nationalen Einheit laut Abkommen konstituiert werden musste. Und kein Parlament, das auch nur die geringsten Anstalten getroffen hätte, zur Sache zu kommen. Also erklärte sich De-facto-Präsident Micheletti zum nationalen Versöhner, ernannte eine Einheitsregierung einzig mit seinen Leuten und nahm die Bürde auf sich, weiter als Diktaturaushängeschild zu fungieren.
Der Boss meint
Nun gibt es eine Verifizierungskommission, welche die Umsetzung der Abkommen zu überwachen hat. Ihr gehören schwergewichtig die US-Arbeitsministerin Hilda Solis und der chilenische Ex-Präsident Lagos an. Was war von dieser Kommission zu hören? Ei, dass die beiden Genannten schleunigst wieder aus Honduras abreisten, als klar wurde, dass dicke Luft herrschte.
An ihrer Stelle redete ein anderer: Tom Shannon, Lateinamerika-Chef des State Department, der das Abkommen ende Oktober durchgedrückt hatte. In CNN en español vom 3. November sagte er ohne Umschweife, die Obama-Administration werde den Wahlausgang vom 29. November auf jeden Fall anerkennen, ob nun Zelaya zuvor als Präsident wieder eingesetzt werde oder nicht. Shannon, d.h. Hillary Clinton, d.h. Barack Obama, haben den Entscheid der Gorilettis vom 5. November vorweg gefällt.
Die Angst vor den Linken
Hintergrund: Natürlich hätten die USA gerne, dass Zelaya am Wahltag des 29. Novembers wieder im Amt sei, allerdings nur als Zierstück, ohne Kompetenzen, um den Wahlen einen legitimen Glanz zu verleihen. Nur, die putschistische Rechte, und das schliesst die Führungen der beiden traditionellen Grossparteien ein, ist unpopulär. Zwar kontrolliert sie den Wahlrat, das WählerInnenregister, das institutionelle Geschehen rund um die Wahlen, zwar „garantiert“ die Armee, zusammen mit den zehn grossoligarchischen Familienclans die Kraft hinter dem Putschthron, die „Sicherheit“ der Wahlen, allein, ob dies ausreicht, um eine allfällige massive Stimmabgabe für die Kandidaturen der Widerstandsbewegung zu neutralisieren, scheint fraglich. Diese „unabhängigen Kandidaturen“ (vom Gemeinderat bis zur Präsidentschaft) waren noch unter Zelaya eingeschrieben worden und hätten sich an rechtmässigen Wahlen beteiligt. So gross scheint die Angst der Rechten vor dieser Kraft zu sein, dass ihnen die drei Wochen bis zur Wahl unter einer von Zelaya angeführten „Einheitsregierung“ als gar zu arges Risiko vorgekommen ist. Also bleibt Zelaya erst mal aussen vor und die Wahlbeteiligung der Widerstandskräfte ist damit vom Tisch. Durchaus denkbar, dass bis zu den Wahlen Zelaya eingeladen wird, sich an einer neuen Brainstormingrunde über seine eventuelle Rückkehr an die Regierung zu beteiligen…
Washington wählt mit
Eine geradezu komische Figur gibt in diesen Tagen State Department-Sprecher Ian Kelly ab. Er hat es nicht leicht, stellen doch an den täglichen Pressekonferenzen des Ministeriums einige der JournalistInnen die falschen Fragen. (Eine andere Sache ist, dass diese Fragen in den Mainstreammedien dann so gut wie nie auftauchen.) Kelly tanzt in den letzten Tagen um den heissen Brei, besonders seit Freitag, als Zelaya und die Widerstandsfront das Abkommen als gescheitert bezeichneten und ankündigten, die Wahlen nicht anzuerkennen (Zelaya) bzw. gleich zu boykottieren (Widerstand). Für Kelly ist noch sooo viel Zeit bis zu den Wahlen, da kann sich alles ganz fest ändern. So kennt Kelly jedes Mal erneut gerade die Äusserungen von Shannon über die US-Akzeptanz von Putschwahlen nicht, auch wenn ihm die Presseleute daraus vorlesen und kann sich deshalb nicht dazu äussern. Es wird einem geradezu peinlich, sein Rumgehüstel mitzuverfolgen. Interessant ist dafür seine Aussage von gestern zu anderen Aspekten. Das State Department tut trotz des klaren Bruchs so, als ob das Abkommen umgesetzt werde. Kelly meint zu den Wahlen: „Wir unterstützen sie weiterhin. Wir unterstützen die Wahlen finanziell mit technischer Hilfe … Wir werden Beobachtungsanstrengungen unterstützen“.
Die aus dem Ruder laufen…
So weit also die Haltung jener „internationalen Gemeinschaft“, der sich auch die Schweiz anschliessen wird. Nur verliert diese internationale Sippschaft an der Macht, ihre Sichtweise als die einzig mögliche darzustellen (etwas, von dem man bei Konsum hiesiger Medien natürlich nicht den Hauch einer Ahnung mitbekommt). So veröffentlichten gestern die AussenministerInnen der Rio-Gruppe, also fast aller Länder Amerikas (inklusive Karibik) minus USA und Kanada, eine Verlautbarung mit dem schlichten Titel: „Ohne Wiedereinsetzung ins Amt von Zelaya keine Anerkennung der Wahlen“. Zelaya seinerseits sagt in Radio Globo: „Ich will für meine Land keine Wahlen vom afghanischen Typ. Ich bin nicht dazu bereit, einen Wahlbetrug zu legitimieren noch diesen Staatsstreich weisszuwaschen“ (voselsoberano.com.v1/, 7.11.09: "No quiero para mi país elecciones tipo Afganistán").
… und die den Kampf führen
Und vor allem gibt es die Widerstandsbewegung. Seit Tagen demonstriert sie vor dem Parlament gegen die Abkommenssabotage und dieses Wochenende unternimmt sie zwei grosse Anstrengungen: Zum einen gibt es eine landesweite Mobilisierung nach Tegucigalpa und zum anderen wird sie morgen an einer Vollversammlung in der Hauptstadt die zukünftige Marschrichtung festlegen. Den Menschen ist nur zu bewusst, dass sie in den kommenden Wochen bei aktivem Boykott der Putschveranstaltung „Wahlen“ mit einer enormen Repression rechnen müssen.
Und der indigene Anführer Salvador Zúñiga erklärt: „Ab heute ist es den [sich an den Wahlen beteiligenden] PolitikerInnen verboten, unsere Viertel und Comunidades zu betreten. Wir werden verhindern, dass Wahltische aufgestellt werden“ (s.o.).
Man versteht, dass die USA die „Verhandlungen“ in irgendeiner Form weiterführen wollen.
Uns ist klar, warum wir am Samstag, dem 21. November, in Bern unsere Solidarität mit dem Widerstand in Honduras und Lateinamerika demonstrieren.